Warum die Krankenbehandlung auf dem Gesundheitsmarkt als Kostenfaktor erscheint - die verwirrende, aber präzise Sprache im so genannten Gesundheits-System
In den letzten Jahren ist zwischen denen, die Rahmenbedingungen für therapeutisches Handeln bestimmen - Gesundheitspolitiker und Gesundheitsverwalter - und den Ärzten und Therapeuten, die Kranke behandeln, schleichend eine Sprachverwirrung entstanden, die Verständigung unmöglich macht: Es ist die sprachliche Kluft zwischen "Gesundheitsversorgung" und "Krankenbehandlung". Vor 30 Jahren begann die Reform der Sozialversicherungssysteme mit dem "Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz", das durch immer schneller nachfolgende und erfolglose Gesetze abgelöst wurde. Am Anfang wurde noch gespöttelt, man solle den Begriff "Gesundheit" nicht wörtlich nehmen, es handele sich nicht um die Gesundheit der Bevölkerung, schon gar nicht um die des einzelnen Versicherten, es gehe schließlich um die finanzielle Gesundung der Versicherungssysteme. Einen vorläufigen Endpunkt stellt das so genannte Wettbewerbsstärkungsgesetz (WSG) dar, das ehrlicher ist als seine kurzlebigen Vorgänger. Es sagt, um was es geht: nicht mehr um Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung bzw. der Gesundheit der Bevölkerung, sondern alleine um die Stärkung des Wettbewerbes. Was das mit Gesundheit zu tun hat, wird nur einsichtig, wenn man nicht in therapeutischer Weise denkt. Gesundheit wird jetzt als Ware aufgefasst, die auf dem Gesundheitsmarkt gehandelt wird und mit Leiden und körperlich-seelischem Wohlbefinden nur mittelbar zu tun hat. Leiden und dessen Behandlung ist im Gegensatz dazu Sache der Krankenbehandlung, die auf dem Gesundheitsmarkt als Kostenfaktor erscheint. Das sind unterschiedliche Sprachspiele, die kaum noch etwas miteinander zu tun haben. Vormals war die Behandlung der Kranken in unserer Kultur von anderen Werten als denen des Marktes getragen. Sie stand in der Tradition der Nächstenliebe und der Solidarität.
Gesundheit als Produkt
Wenn man die Gesetze des Marktes schleichend und jetzt verbindlich auf die Krankenbehandlung überträgt, richtet man schweren kulturellen Schaden an: Die Beziehung zwischen Partnern in einer Gesundheitsökonomie ist mit der zwischen Patienten und Therapeuten kaum vereinbar. Weil Gesundheit nicht auf jegliche Regulation verzichten kann, wird als Ausgleich der Gesundheitsbereich mit einer feinmaschigen Administration überzogen. In so genannten Qualitätssicherungen und Effizienzkontrollen sowie Normierungen von Arbeitsvorgängen wird aber Misstrauen in therapeutische Beziehungen implantiert, das die Notwendigkeit des Sich- Anvertrauen-Könnens konterkariert. Zugleich wird zunehmend eine Entmündigung der vormals freiberuflichen Ärzte und Therapeuten betrieben, die ständiger Fortbildungspflicht unterworfen werden, als wäre nicht ohnehin im Ethos einer Profession enthalten, sich nach bestem Können zu informieren und das Bestmögliche zu tun. Die Entäußerung des Ethos ist ein Angriff auf die Profession des Heilens. Therapeuten, die nur noch normgerechte Leistungen erbringen sollen, sind nicht mehr Professionelle sondern üben einen abhängigen Beruf aus, der Aufträge erfüllt. Der Angriff auf das Ethos zerstört schleichend die Grundlage eines jeden freien Berufes im Sinne der Professionstheorie. Warum protestiert niemand dagegen, dass die ehemaligen "Götter in Weiß" zu Facharbeitern der Gesundheitswirtschaft absteigen sollen? Besorgniserregend ist, dass sich der Protest der Ärzte und Therapeuten nur um Entlohnung drehte. So wurde er zu einer unbeholfenen Streikaktion und gehorchte der Logik der Marktwirtschaft, ohne auf den kulturellen Skandal hinzuweisen, der sich in der Sprachverwirrung darstellt. Die zunächst harmlos klingende Sprachverwirrung ist in Wahrheit ein Kampf zwischen unterschiedlichen Werten und Auffassungen. Angesichts der ungleichen Macht- und Kräfteverhältnisse handelt es sich allerdings nicht um einen fairen Kampf, sondern um das zwangsweise Implantieren einer neuen Sprache in die therapeutische Welt. Die Sprache der Gesundheitspolitik ist im strengen Sinne George Orwells ein "Neusprech", das Denken regulieren und anderes Denken aus dem Verkehr ziehen soll. Dafür gibt es eine Reihe von Indizien: In der so genannten Gesundheitsreform geht es nicht um die Reformierung, das heißt Erneuerung der Gesundheit, sondern um die Reform des Gesundheitsversorgungssystems. Es handelt sich in der Folge der Reformen auch nicht um "Gesundheit" im therapeutischen Sinn, als körperlich-seelisches Wohlbefinden der Menschen, sondern um Gesundheit als Produkt und Ware der Gesundheitswirtschaft. Abnehmer der Ware der Gesundheit sind "Kunden"; früher wurden sie Patienten genannt: leidende Mitmenschen, die Anrecht auf Hilfe, Mitleiden und Solidarität haben. Maßnahmen, die als "Modernisierung" gepriesen werden, sind gut geeignet, Errungenschaften der Moderne abzubauen. "Krankheit" wird zum Unwort erklärt, über das nicht mehr gesprochen werden darf.
Wohlbefinden im Leistungsvergleich
Dass das keine Utopie ist, wird sichtbar, wenn sich die größte Krankenkasse "Gesundheitskasse" nennt, um Marktvorteile zu erringen. Ökonomisch ist das sinnvoll, denn es ist wirtschaftlicher, Gesunde als Kranke zu versichern. Das ist die neue Welt der Gesundheitsversorgung: Der selbstbewusste Kunde, ehemals Patient, schlendert lässig über den Gesundheitsmarkt und prüft die verschiedenen Angebote sorgfältig, bevor er sich für eine Leistung entscheidet. Leistungserbringer, ehemals Ärzte oder Therapeuten, werben mit ihren Angeboten um Kunden und stellen sich verschärftem Wettbewerb untereinander. Patienten und Therapeuten, Leiden und Behandlung, sind aus dem Blick geraten; Leiden würde das freie Spiel ökonomischer Kräfte stören. Problematisch an dieser Vision ist, dass sich das Leiden nicht aus dem Leben entfernen lässt, weil es unvermeidlich dazugehört und alle Menschen früher oder später auf helfende Begleitung (Therapie) angewiesen sind. Der Zynismus des Neusprechs wird besonders deutlich, wenn anlässlich der Proteste ein Sprecher des Gesundheitsministeriums Therapeuten drohend auffordert, sie sollten nicht vergessen, dass sie "ihre Kunden frei Haus geliefert" bekämen. In der Sprache der Krankenbehandlung, in der Welt des Leidens und seiner Behandlung ist das eine höhnische Beschreibung. Sie steht in schamlosem Kontrast zur Erfahrung eines leidenden Menschen, der sich mit Schmerzen und Angst, vielleicht unter Überwindung von Scham, einem helfenden Begleiter (Therapeuten) anvertraut, das heißt sich in Behandlung begibt, weil er sich selbst nicht mehr zu helfen weiß.
* Zuerst erschienen in der "Frankfurter Rundschau" am 2.1.2007
** Autor: Jürgen Hardt, Diplompsychologe, niedergelassener Psychoanalytiker in Wetzlar,
Präsident der Psychotherapeutenkammer Hessen