Pfusch im Stern

Am 14. Dezember 2006 brachte der Stern eine Titelgeschichte über Psychotherapie: "Pfusch an der Seele. Wie Psychotherapie krank machen kann." (Stern Nr. 51/2006) Hatte man gehofft, daß die vielen Berichte über Psychoanalyse im Jahr des 150. Geburtstags von Sigmund Freud zu einem höheren Niveau der Berichterstattung über Psychoanalyse und Psychotherapie in den Medien führen würden, so wird man in dieser Titelgeschichte eines anderen belehrt. Bestürzende Fälle von Behandlungsfehlern und schwerwiegenden ethischen Verfehlungen von Psychotherapeuten werden zum Anlaß genommen, um mit unbewiesenen und teilweise falschen Behauptungen die professionelle Ethik des gesamten Berufstands in Zweifel zu ziehen. Vorhandene wissenschaftliche Untersuchungen über die Wirksamkeit von Psychotherapien (wie die Katamnesestudie der DPV, nachzulesen unter dem Menupunkt Forschung bei www.dpv-psa.de ) werden ignoriert. Statt dessen wird immer wieder pauschal und unbewiesen die Behauptung aufgestellt, daß zehn bis zwanzig Prozent der Therapien "mehr schaden als nützen". 
Es läßt sich natürlich nicht bestreiten, daß es in der Psychotherapie - wie in der Medizin auch - negative Behandlungsverläufe gibt. Diese sind allerdings strikt zu unterscheiden von Fällen eklatanten Mißbrauchs, wie sie im Stern berichtet werden. Die Katamnesestudie der DPV, welche die Stabilität der Behandlungserfolge fünf Jahre nach einer abgeschlossenen psychoanalytischen Behandlung untersuchte, stellte bei 75% der Untersuchten eine anhaltend stabile Besserung fest - eine Erfolgsbilanz, die sich sehen lassen kann. Bei fünf Prozent der Patienten ließen sich erfolglose Behandlungen und Verschlechterungen feststellen. Eine eigene Studie versuchte durch Interviews mit den betroffenen Patienten und Analytikern den Hintergründen für diese mißglückten Behandlungsverläufe nachzugehen. Wie überhaupt Interviews mit ehemaligen Patienten ein Hauptinstrument dieser großen Studie gewesen sind.
Das hindert den Stern nicht daran zu behaupten, daß die Psychoanalytiker sich nicht "über die Couchlehne gucken lassen wollen". Als Beleg dafür muß die Kritik der Psychoanalytiker und ihrer Fachverbände an dem äußerst umstrittenen Projekt der Technikerkrankenkasse zum "Qualitätsmonitoring in der Psychotherapie" herhalten. Eine Darstellung dieser wohl begründeten Kritik sucht man im Artikel vergebens. Dafür wird die lange und gründliche Ausbildung speziell von Psychoanalytikern, die mit ihrer kontinuierlichen Schulung der Selbstreflexion einen zentralen Bestandteil der Qualitätssicherung in diesem schwierigen Beruf darstellt, in Verruf gebracht. Ausgerechnet in dieser langen und aufwendigen Ausbildung soll die Ursache dafür liegen, daß Psychotherapeuten nicht mit Kritik von Patienten umgehen können. Das ist ungefähr so klug, wie zu behaupten, daß die gründliche und lange Ausbildung zum Facharzt Ursache für ärztliche Behandlungsfehler sei.
Schnell soll es nach den im Artikel zitierten Experten anscheinend nicht nur in der Ausbildung sondern auch in der Behandlung gehen. Frau Helga Kühnl-Mengel, Patientenbeauftragte der Bundesregierung wird mit der Behauptung zitiert: "... nach fünf bis zehn Stunden sollte der Patient merken, daß ihm die Therapie hilft, sonst läuft etwas schief". Mit einer solchen Haltung wäre kein Psychoanalytiker in der Lage, die Kraft und den langen Atem aufzubringen, die notwendig sind, um Patienten mit chronifizierten psychischen Leiden zu helfen und sie in Zeiten der Stagnation und Hoffnungslosigkeit zu begleiten. Auch das eigene Bedürfnis nach schnellen Erfolgen sollte ein Psychotherapeut selbstkritisch reflektieren können.

Da wir nicht davon ausgehen können, daß die vielen kritischen Kommentare von Psychoanalytikern zu der Titelgeschichte des Stern vollständig abgedruckt werden, dokumentieren wir eine Auswahl von Leserbriefen, die sich mit den vielen problematischen Behauptungen des Artikels ausführlich auseinandersetzen. 

 

Leserbrief von Michael Buchholz, Professor im Fachbereich Sozialwissenschaften an der Universität Göttingen

Richtig ist immer, auf schwarze Schafe aufmerksam zu machen. Einige Fehler in Ihrem Beitrag verdienen aber Korrektur. Es war nicht Freud, der versprach, "Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid". Es waren die Worte Jesu in der Bergpredigt. Freud sah realistisch, daß die Psychoanalyse oft genug seelisches Leiden nur in "normales Elend" verwandeln könne. Heilsversprechen machen seriöse Therapeuten nicht. Man lernt in der Ausbildung geradezu den Aufbau eines "Arbeitsbündnisses", weil Psychotherapie in einem sehr wichtigen Sinne so etwas wie Arbeit ist. "Heil" in einem religiösen Sinn wird nicht versprochen.
Die Behauptung, Psychotherapie sei "Operation am offenen Herzen" klingt romantisch, ist aber falsch. In ganz wesentlichen Dimensionen ist die therapeutische Operation eine Ko-Operation. In der Chirurgie kann der Patient im wesentlichen passiv bleiben und muß ärztlichen Anweisungen folgen. In der Psychotherapie wäre eine solche Haltung aber gerade das Einfallstor für die Behandlungsfehler, die Sie rügen. Der Therapeut wäre dann der magische "Heiler", der Patient ein Jünger. Seriöse Psychoanalytiker wollen das gerade nicht. Mitarbeit in der Psychotherapie ist Voraussetzung, Passivität ein Problem. Darüber werden Patienten in der Psychoanalyse zu Beginn genau informiert.
Auch in anderen Berufen gibt es schwarze Schafe. Unengagierte Lehrer; Beamte auf dem Amtsschimmel; Anwälte, die falsch beraten; faule Professoren; Ärzte, die Fehler machen. Leider auch Therapeuten. Die von Ihnen geforderte Kontrolle der Therapeuten ist innerhalb der Berufsverbände in verantwortlich arbeitenden Ethik-Kommissionen längst Thema. Zahllose internationale wissenschaftliche Studien weisen aber insgesamt nach, daß Psychotherapie, insbesondere die zu Unrecht verleumdete Psychoanalyse, sehr gut hilft.
Fairerweise trägt der Beitrag dem Rechnung, indem er gegen Ende darauf hinweist, daß Therapiegeschädigte in fast allen Fällen einen "fähigen Therapeuten" fanden. Das ist bei weitem die Mehrheit - wie in den anderen genannten Berufsgruppen glücklicherweise auch.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Prof. Dr. Michael B. Buchholz
Schlesierring 60
D-37085 Göttingen
Tel.: 0551 / 48 58 98

 

Leserbrief von Anna Elisabeth Landis

Zusammenfassend könnte man den Artikel abtun mit dem Fazit: "Pfusch am Leser. Wie Presse desinformiert."
Allen Untugenden, die die Verfasser an Psychotherapeuten geißeln, frönen sie in diesem Artikel in heiterer Unbekümmertheit selbst. 
Man rede sich nicht damit heraus, daß Journalisten nicht die gleichen Sorgfaltspflichten wie Therapeuten hätten, und daß Information ein weniger sensibles Gut als seelisches Leiden sei. Es geht um eine Berufshaltung, um den Mißbrauch der Macht, die der eigene Job verleiht: Therapeuten sähen Krankheit, wo keine ist und verlängerten Psychotherapien künstlich, weil sie das Honorar bräuchten? Journalisten sehen Sensationen, wo keine sind und bauschen zusammengelesenen Daten künstlich auf, weil sie Leser brauchen. Therapeuten befriedigten eigene sexuelle Interessen an ihren Patienten? Journalisten befriedigen den sexuellen Voyeurismus ihrer Leser und illustrieren ihre Titelgeschichte mit einer nackt posierten Schönheit: Es geht um Geilheit, lieber Leser, bleib' dran, wir befriedigen sie, das Thema, an welchem die Befriedigung angeboten wird, ist eigentlich unerheblich. Fünf bis zehn oder gar zwanzig Prozent aller Therapien nützen nichts oder seien sogar schädlich? Wenn man schätzt, daß nur zwanzig Prozent aller Presseerzeugnisse schädlich oder auch nur nutzlos sind, hat man das Lesen vermutlich schon aufgegeben oder auf die geringe Zahl der Erzeugnisse beschränkt, die Information noch ernsthaft als ihre Aufgabe sehen. Mißerfolge zu vertuschen habe Tradition? Ja: in einem Land, in welchem, im Gegensatz zu den skandinavischen Ländern, Fehlerfreiheit nach wie vor als realisierbare Idealität verteidigt wird, anstatt alle Beteiligten in eine Fehlerkultur hinein zu sozialisieren, in welcher lernend und nicht anklagend mit Fehlern umgegangen werden kann, gibt es diese Tradition tatsächlich. Und Leute wie die Verfasser dieses Artikels tun das ihre dazu, daß das so bleibt, indem ihre Anklage verteufelt, verzerrt, Sensationen herstellt und triumphiert - nicht, weil sie aufgeklärt hätte, sondern weil es in ihrem Klingelbeutel dank lüsterner Verkaufszahlen munter klingelt. 
Dessenungeachtet jedoch wächst diese Fehlerkultur im medizinisch-psychotherapeutischen Feld schon seit einiger Zeit unverdrossen und unbemerkt von jenen heran, denen daran nicht gelegen sein kann, weil ihnen dann der Sensationscharakter der Ereignisse fehlt, die von kompetenter Seite längst untersucht werden. Fehler gibt es überall, schwarze Schafe, Leute, die ihren Job mißbrauchen: Auch in der Presse.

Dr. med. Anna Elisabeth Landis
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie
Psychoanalyse, Ärztliches Qualitätsmanagement
Wilhelmstr. 35
71034 Böblingen

 

Leserbrief von Jürgen Hardt, Präsident der Psychotherapeutenkammer Hessen

Leider ist Ihr Bericht tendenziös und dient nicht zur notwendigen Aufklärung, sondern ist eher geeignet, bestehende Vorurteile gegen Psychotherapie zu schüren. Abgesehen von Fehlern im Detail, die durch eine gründlichere Information hätten vermieden werden können und die es zu korrigieren gälte, ist es von Seiten der Hessischen Landeskammer für Psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -therapeuten notwendig auf folgendes hinzuweisen.

Sie preisen das so genannte TK-Modell und berichten tendenziös, dass nur 12 % der Psychotherapeuten in Hessen interessiert seien, am Modellprojekt teilzunehmen. Dazu möchte ich Ihnen mitteilen, dass sich eine Vorstandsarbeitsgruppe der Kammer mit Vertretern der Techniker-Krankenkasse und dem wissenschaftlichen Berater intensiv über fachliche Einwände gegen das Projekt ausgetauscht hat. Die Ausschüsse der Kammer für Qualitätssicherung und Wissenschaft und Forschung arbeiteten Stellungnahmen aus, die unseres Erachtens nicht sehr weit reichende aber wesentliche Änderungen verlangt hätten, damit die Kammer das Modellprojekt hätte befürworten können. Diese Veränderungen wurden von Seiten der Techniker-Krankenkasse zugesagt, dann hat aber die TK den Kontakt mit der Kammer abgebrochen und schließlich, ohne die Kammer zu informieren, mit der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen ein Abkommen getroffen.

(Auf unserer Homepage können Sie im Archiv die Vorgänge in einzelnen Schritten zurückverfolgen.)

Die Sicherung der Qualität psychotherapeutischer Behandlung ist zuerst und vornehmlich eine Aufgabe der Kammer als Berufsaufsicht führende Körperschaft. Dass sich die Techniker Krankenkasse so wesentlich für Qualitätssicherungen von Psychotherapie engagiert, könnte eine wichtige Ergänzung und Unterstützung der Aufgaben der Kammer sein. Dass sie allerdings sich diese Aufgabe selbst und im Gegensatz zur Kammer anmaßt, halten wir für äußerst bedenklich.

Obwohl unsere Kammern noch sehr jung sind, haben alle differenzierte Beschwerde- und Schlichtungsinstitutionen aufgebaut, die mit großem Ernst ihre Aufgaben wahrnehmen. Aber auch viele Fachverbände haben schon immer Beschwerde- und Untersuchungsverfahren bereitgehalten, die in begründeten Fällen tätig wurden und, so weit es ihren Möglichkeiten entsprach, bei nachgewiesenen Verfehlungen diese geahndet haben. Die von Ihnen geschilderten Vorgänge wären allesamt mehr oder weniger schwerwiegende Verstöße gegen die Berufsordnung und würden bei Bekanntgabe von uns sofort aufgeklärt, gegebenenfalls verfolgt.

Ich würde mir sehr wünschen, dass sich die hochmütige Verachtung für unseren Berufsstand in Zukunft legen würde und zumindest soviel Respekt gegenüber uns aufgebracht würde, wie das bei anderen Fachgruppen mit hoher Qualifikation üblich ist.

Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Hardt
Präsident der Psychotherapeutenkammer Hessen

 

Leserbrief der Berufspolitischen Kommission der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung

Ihrem Artikel zufolge könnte man meinen, Psychotherapeuten seien eine Art Geheimloge, die sich angesichts der Gemeingefährlichkeit ihres Tuns ("Wenn Therapeuten krank machen") "nicht gern über die Couchlehne gucken" ließe. Dieser verzerrenden Darstellung, welche der psychotherapeutischen Praxis in keiner Weise gerecht wird, soll hiermit energisch widersprochen werden. Das Gegenteil ist der Fall:
1. Die Psychotherapieforschung - d. h. die Erforschung der Prozesse zwischen Patient und Psychotherapeut im Hinblick auf ihre kurative Wirkung, wird in den psychoanalytischen Fachgesellschaften groß geschrieben. Als Beispiel sei hier nur dieKatamnese-Studie der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) genannt, welche die Wirkungen und Nachwirkungen von psychoanalytischen Langzeitbehandlungen untersucht. Da es unter den Behandlern ein großes Eigeninteresse gibt, problematische Behandlungsverläufe zu verstehen, wurden in dieser Studie gerade "mißlungene" Behandlungen besonders intensiv untersucht. Insgesamt hat die Studie jedoch gezeigt, daß die große Mehrzahl psychoanalytischer Behandlungen zu sehr zufriedenstellenden und dauerhaften Ergebnissen führt. Ein weiteres von zahlreichen Beispielen ist die derzeit anlaufende, groß angelegte Studie zur Depression der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychotherapie und Psychosomatik (DGPT).
2. Innerhalb der psychoanalytischen Fachgesellschaften und bei den Psychotherapeuten- und Ärztekammern gibt es Ethik- und Schlichtungs-Kommissionen, die beachtliche Anstrengungen unternehmen, um sowohl bei behandlungstechnischen, als auch bei ethischen Verfehlungen von Psychoanalytikern, den berechtigten Patienteninteressen Rechnung zu tragen .
Allerdings ist das Modellvorhaben der Techniker Krankenkasse (TK) "Qualitätsmonitoring in der ambulanten Psychotherapie" nicht geeignet, psychotherapeutische und insbesondere psychoanalytische Prozesse zu erforschen und zu überprüfen. Denn es erforscht primär die Entwicklung der Symptome des Patienten über die Zeit, aus dessen subjektiver Einschätzung heraus. Die Einschätzung des Psychotherapeuten ist hier bei Zwischen-messungen nicht gefragt! In keinem Bereich der Medizin wäre es denkbar, daß die Ein-
schätzung der Behandlung durch den Arzt nicht gefragt ist. Wie soll man sich als Patient einem Therapeuten anvertrauen können, dessen fachliche Einschätzung überhaupt nicht zählt? Diese Entmündigung des Therapeuten im TK-Modellvorhaben bedeutet zugleich auch eine Entmündigung des Patienten. Denn die per Fragebogen mitgeteilte Einschätzung des Patienten, primär zur Entwicklung seiner Symptome, fließt im Rahmen des Modellvorhabens über Computer gesteuerte "Rückmeldungen" an den Behandler wieder in den psychotherapeutischen Prozeß ein, in manchen Fällen sicher behandlungsschädigend, besonders wenn über die Fragebogenauskünfte keine schnellen Verbesserungen vorzuweisen sind und dem Behandler fälschlicherweise eine Veränderung seines Vorgehens nahegelegt wird, was nicht selten auf eine Beendigung der Behandlung hinauslaufen dürfte. Der Patient, dessen Mündigkeit über das TK-Projekt eigentlich gestärkt werden soll, weiß beim Ausfüllen der Fragebögen nicht, was er mit seinen Antworten und der daraus gewonnenen "Rückmeldung" an seinen Psychotherapeuten für seine Behandlung auslöst! Auf diese Weise wird zudem die Durchführung einer psychoanalytischen Behandlung lege artis in Frage gestellt. Um die Behandlung - und damit auch Patienten und Behandler - zu schützen, lehnen die meisten Analytiker vor diesem Hintergrund entschieden die Beteiligung an dem Projekt der TK ab - nicht aus der in ihrem Artikel unterstellten "finsteren" Motivation heraus, weiter ungestört ein fragwürdiges "psychotherapeutisches" Geschäft betreiben zu wollen.

Januar 2007

Dipl.-Psych. Christa Leiendecker, Dipl.-Psych. Rupert Martin 
Berufspolitische Kommission der DPV