Michael Niemann: Das Medienecho zu Sigmund Freuds 150. Geburtstag

 

Am 6.05.1856 wurde Sigmund Freud geboren. Dieses Ereignis führte in den Medien zu einer überraschend vielfältigen, breiten und ausführlichen Darstellung über Freuds Biographie und sein Werk und auch über Psychoanalyse und Psychotherapie. Am Beispiel der Zeitschriften GEO, DIE ZEIT und DER SPIEGEL stelle ich dar, wie Freud derzeitig in den Medien rezipiert wird und welches Bild von Psychoanalyse als Therapieverfahren in diesen Berichten zum Ausdruck kommt. Bisher tat es immer etwas weh, wenn man als praktizierender Analytiker, der natürlich auch die psychotherapeutische Versorgung von Patienten gewährleistet, die Darstellungen in den Medien über Freud und die Psychoanalyse verfolgt hat. Sachlich unrichtige und hämische Kommentare oder Entwertungen bestimmten oft die mediale Präsenz. So wären doch viele Analytiker dankbar, wenn nach langjährigen Schlägen (Freud bashing) auf Freud und sein Werk eine sachliche Darstellung erfolgen würde.

In ihrer Ausgabe vom 5.5.06 kündigt GEO einen Artikel an mit der Frage: "Hat er uns durchschaut? Die Wiederkehr des Mannes, der Träume und Triebe erforschte." 
Schon mit der Vorstellung des "Durchschauens" scheint die negative Konnotation wieder zu beginnen, gefolgt von Begriffen wie "Abgründe" oder "das Verschüttete". Es werden sogleich Reizworte verwendet, die dem Gegenstand "Seele" nicht gerecht werden, eine ungebührliche Dramatisierung beinhalten und den Menschen die Vorstellung vermitteln können, etwas Schlechtes in sich zu haben. Solche Begriffe haben schon oft in der öffentlichen Diskussion den Eindruck erweckt, als sei es etwas Unanständiges, sich mit seelischem Geschehen zu beschäftigen. Zum Glück aber wird nicht in dieser Weise fortgefahren, sondern es folgt ein aufwendiger, graphisch und fotographisch reizvoll gestalteter Text, verfaßt von Martin Lindner, einem in Medizingeschichte promoviertem Autor, der im Tenor wohltuend sachlich und aufrichtig bleibt und viele Details herausarbeitet. Freuds biographische Stationen werden, unter dem Text verlaufend, zusätzlich auf einer Zeitachse unterlegt dargestellt. 
Natürlich geht auch der GEO Text auf den gegenwärtigen neuro-bio-psychologischen Diskurs im Zusammenhang mit der Nutzung bildgebender Verfahren ein. Eine recht anschauliche Grafik vergleicht das Struktur-Modell von Freud mit dem Psyche-Modell des Neurobiologen Gerhardt Roth. Etwas flacher dagegen ein kurzer Artikel von J. Paulus, in dem Therapien unter ökonomischem Aspekt vergleichend dargestellt werden. Wie in Artikeln in anderen Zeitschriften auch, wird gleich zu Beginn Paula Fichtl, Freuds Haushälterin, so zitiert, daß analytische Behandlung in oberflächlich tendenziösem Kontext erscheint. Frau Fichtls Meinung in Ehren, aber ob sie je etwas von dem, was Freud tat, überhaupt verstanden hat? Es scheint aber, daß Sie zum Transport negativer Konnotationen von verschiedenen Autoren gerne genutzt wird. Es gelingt dem Autor nicht, die Komplexität analytischer Prozesse und deren Unterschiedlichkeit zu anderen Verfahren darzustellen. Ebenso gelingt es ihm nicht, die unterschiedlichen Indikationen der Therapieverfahren zu erkennen. 
GEO rundet die Freud Reprise durch ein Interview mit S. Zizek ab, dem es gelingt, mit gut verstehbaren Worten eine Abstraktion von Freuds Wirkung zu vollziehen. Eine wohltuende philosophische Sicht, die der häufigen Banalität im Verständnis von Freud entgegentritt. Insgesamt legt GEO eine gut gemachte verständliche Übersicht über Freuds Werk und Wirkung vor.

Etwas anders nähert sich DER SPIEGEL in seiner Ausgabe vom 29.4.2006 an das Freud Thema an. Schon der Titel ist reißerischer, "Der Sex und das Ich", ebenso das Titelbild: Ein Pin-up-girl räkelt sich auf einer von dem alternden Freud gehaltenen Zigarre. Eine "Wiederentdeckung" wird vom Spiegel gesehen, so als sei Freud weg gewesen, allerdings nur für die, die ihn zuvor verjagt hatten und dazu gehörte DER SPIEGEL bisher ganz besonders. In das Zentrum des Artikels von Beate Lakotta wird Freuds Sexualtheorie gestellt, einige surrealistische Abbildungen sollen versuchen, eine bildhafte Darstellung des Gegenstandes zu erzeugen. Allerdings erzeugen sie eher die Stimmung des Irrationalen und banalisieren somit den Text mit mythisch esotherischer Symbolik. 
Der Artikel versucht den heutigen Stand der Theoriebildung zu beschreiben und setzt sich zunächst kritisch mit Freuds Interpretation seiner Beobachtungen auseinander, wonach spätere Erkrankungen des Menschen "alleine" auf seiner sexueller Entwicklung und deren Störungen sowie auf seiner Triebhaftigkeit beruhen. Zu einer solch einfachen Sicht der Dinge wäre Freud allerdings selbst nicht in der Lage gewesen. Im Weiteren wird anhand von Bowlbys Bindungstheorie aufgezeigt, daß die auf eine monokausale Ursache reduzierte Sichtweise in der Psychoanalyse heute überholt sei, wobei Peter Fonagy und Mary Target auf Freuds Couch sitzend, abgelichtet werden. Im Text wird ihre Theoriebildung angemessen wiedergegeben. Die weitere Darstellung der aktuellen neuro-wissenschaftlichen Befunde soll belegen, daß von einer Renaissance der Freudschen Theorien gesprochen werden kann, da in Teilen die Wirksamkeit des Unbewussten in bildgebenden Verfahren "bestätigt" werde. Abgesehen von den modernen "Neuro-Befunden" stellt der Artikel über Beispiele aus der forensischen Psychiatrie dar, wie Freuds Theorien im Verständniszugang zu den Ursachen perverser Sexualstraftaten bis heute einen unverzichtbaren Erklärungszusammenhang finden. Für den unbefangenen Leser ist der Artikel aufgrund seiner zeitweise tendenziösen Sprache eher schwer verständlich, aber er gibt letztlich durchaus Teile des aktuellen wissenschaftlichen Diskurses wider. Wenn auch oberflächlich, würdigt der Artikel die grundlegenden denkerischen Impulsen, die von Freud ausgehen, ohne allerdings die Vorstellung des "Überholten" fallen lassen zu können. Daß Psychoanalyse sich weiterentwickelt und neue Verständniszusammenhänge integriert, ohne daß frühere Theoriezugänge dadurch "überholt" wären, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. 

DIE ZEIT geht mit dem Thema noch mal anders um. In der Ausgabe vom 23.2.2006 legt sie eine Sammlung von Artikeln vor, in denen den Fragen, "Was bleibt von Freud?", "Welche Konkurrenz hat die Psychoanalyse?" und auch der Frage nach Freuds Hunden nachgegangen wird. Dazu gesellen sich ein historischer Abriß über Freud in seiner Zeit sowie Angaben über Bücher zum Thema, Termine zu Freud-Veranstaltungen und ein Gespräch zwischen Gerhadt Roth und Harald Welzer. Die fotographische Gestaltung ist spärlich, was sicher mit dem Zeitungsformat zu tun hat. Großformatige, wiederum das surrealistische Genre aufnehmende Bilder, sollen wohl des Irrationale und Hintergründige des Themas visualisieren. Freud wird eher als Griesgram gezeigt, ein Uhu schaut den Betrachter "träumend" an - oder umgekehrt? Die bildhafte Darstellung zum Thema Psychoanalyse ist wohl ein Kapitel für sich.
In "Was bleibt von Freud?" kann es auch Elisabeth von Thadden nicht lassen, gleich zu Beginn Paula Fichtl zu zitieren und somit die Entwertung assoziativ hineinzutragen. Zunächst wird Freud für "mausetot" erklärt, um dann im Verlauf des Artikels wiederbelebt zu werden. In gedrängter Folge werden Entwicklungen innerhalb der Psychoanalyse und der Gedächtnisforschung durchaus richtig und sachlich dargestellt. Allerdings werden "Es" und "Unbewußtes" verwechselt, damit Förstls Kritik am Begriff des Unbewußten dargestellt werden kann, wonach das Unbewußte automatisch funktioniere, da es die autonomen psycho-somatischen Prozesse gestalte, zu denen kein Denken notwendig sei - insofern sei es lediglich ein Ort der Informationsverarbeitung. Die Bedeutung der ersten Lebensjahre wird zwar anerkannt, aber ein Bezug zum späteren psychischen Leiden nicht gesehen. Lapidar wird die "Nacktheit der Mutter" abgetan als etwas, woran man nicht sein ganzes Leben lang zu knabbern habe. Woher will Frau von Thadden dies denn so genau wissen, könnte man fragen. In diesen Passagen wird deutlich, daß die Autorin die analytische Metaebene nicht sehen möchte oder kann. Ansonsten gelingt ihr aber eine in dieser Kürze gut dargestellte Übersicht. 
In "Couch um Couch" werden von Anke Weidemann die Probleme der "klassischen" Psychoanalyse im Kontext des heutigen Gesundheitssystems und der Entwicklung anderer therapeutischer Zugänge im Grunde angemessen wiedergegeben. Daß der Ödipuskomplex ein Irrtum sei, ist mir allerdings neu - wiederum gelingt es nicht, von der konkreten Wortbedeutung zur Abstraktion zu finden. Die Notwendigkeit zur "ödipalen" Gestaltung der Biographie als wichtigen Reifungsschritt im Leben eines Menschen hatte immerhin schon Loriot erkannt. Sollte eine Journalistin in einen Chefredakteur verliebt sein und aus Angst seine Zuneigung zu verlieren, etwas nicht schreiben, so ist sie eben in einem "ödipalen" Konflikt verfangen. Daß Freud im Ödipuskomplex einen metaphorisch umschriebenen Verständnisrahmen für einen zutiefst menschlichen Konflikt konzipiert hat, ist vielleicht doch nicht leicht zu verstehen. 
Recht hat die Autorin, wenn sie auf den mangelnden analytischen Nachwuchs hinweist. Tatsächlich müssen die Psychoanalytiker sich anstrengen, um mehr Nachwuchs zu bekommen - aber das ist eine andere Diskussion.
In der "Hausherr und das Ich" beschreibt Frau von Thadden Freuds biographische Entwicklung besonders vor dem Hintergrund seines Zeitgeistes - ein gut lesbarer, aber das Übliche darstellender Text. Im nächsten Artikel "Herr und Hund" werden die kleinen tierischen Wegbegleiter des späten Freud informativ beschrieben. Das hat zwar mit Psychoanalyse nichts zu tun, aber viel mit Menschlichem. Den Versuch daraus noch Neurotisches aus dem Familienleben der Freuds zu "pressen" halte ich aber für wenig glücklich. 
Höhepunkt der ZEIT Artikel ist für mich persönlich allerdings das Gespräch zwischen Gerhard Roth und Harald Welzer. Ein kluger Dialog zwischen zwei Menschen, die ihre Wissenschaft und ihr Verständnis von den seelischen Prozessen, mit denen sie sich beschäftigen, in erfreulicher Klarheit, Neutralität, Toleranz und innerer Distanz zum Objekt ihrer Forschung darstellen.

Insgesamt findet sich in diesen drei Beispielen des aktuellen Medienechos aus Anlaß des 150. Geburtstags von Sigmund Freud eine anerkennenswerte Entwicklung zur gebotenen Sachlichkeit und differenzierten Darstellung. Diese Artikel taten nicht mehr ganz "so weh" wie frühere Kampfartikel gegen die Psychoanalyse. Möglicherweise ist das Problem auch nicht in Freuds Werk selbst zu sehen, sondern in der wechselnden Bereitschaften der Medien, als Spiegel der Öffentlichkeit in ihrem Zeitgeist gefangen, sich den mit Psychoanalyse verbindenden Fragen zu widmen. Aber dazu gehören ja auch Zwei - vielleicht gelingt es auch der "organisierten Psychoanalyse", sich im öffentlichen Diskurs etwas verständlicher auszudrücken und den elitären Habitus abzulegen. Hier hatte die "Psychoanalyse" bisher sicher ein Problem, sich im öffentlichen Raum zu bewegen und sich verstehbar darzustellen.

Juli 2006

* Michael Niemann, Diplom-Psychologe, niedergelassener Psychoanalytiker in Marburg