Rainer Holm-Hadulla: Putin und der Tod

Das Kriegsgeschehen in der Ukraine folgt Vorbildern aus der (germanischen) Mythologie – Untergang
und Zerstörung werden zum eigentlichen Sinn des Lebens 

"Aus der Rhein-Neckar Zeitung vom 02.04.2022"

Die historischen und politischen Perspektiven in dem Artikel von Detlef Junker (RNZ vom 26. März 2022) sollen hier durch eine mythologische und psychologische ergänzt werden. Ich gehe dabei von der allen zugänglichen Beobachtung aus, wie Wladimir Putin mit versteinerter Mine, ohne jede menschliche Regung, den Tod von lebensfrohen und hoffnungsvollen Menschen verkündet. Das Leben scheint auch aus seinen Befehlsempfängern gewichen zu sein, ohne jede Regung nehmen sie seine apokalyptischen Ankündigungen auf und exekutieren seine Befehle. Es herrscht der Tod.

Die kalte Angriffswut alter Männer zielt auf Kinder, junge und alte Menschen und die Vernichtung des Lebens selbst. Sie hat viele Vorläufer. Der griechische Schöpfergott kann die Begrenzung seiner Macht durch die Lebendigkeit seiner Kinder nicht ertragen und „stopft sie zurück in Mutter Erde, sodass sie ächzte“. Auch sein Sohn, der „krummsinnige“ Kronos, verschlingtfrisst eifersüchtig seine Kinder. In der römischen Welt Saturn genannt, wird er zum Inbegriff des Schöpfung und Zerstörung. Am eindrucksvollsten ist wohl die Darstellung seiner destruktiven Seiten in dem Gemälde von Francisco de Goya „Saturn frisst seine Kinder“. In dieser schrecklichen Allegorie des Krieges ist alles Schöpferische gewichen, es herrscht monströse Gewalt und totale Zerstörung.

Die Bedeutung der Mythen geht über das historisch Illustrative hinaus. Sie sind Ausdruck der Bemühungen von Menschen sich über sich selbst und ihre Stellung in der Welt zu vergewissern. Insofern können sie helfen die unfassbare Destruktivität eines Wladimir Putin psychologisch zu begreifen. Neben vielem anderen geht es um die Abwehr der Einsicht in das eigene Sterben-Müssen unter Preisgabe des Lebens der Jungen.

Die Verleugnung der eigenen Grenzen unter Opferung des Lebendigen wird in Richard Wagners Wotan-Gestalt bis heute wirkmächtig verkörpert. Um seine ewigkeitstaugliche Burg Walhalla zu bauen, schneidet er aus dem Baum des Lebens einen Speer, der zum Symbol seiner Macht erkoren wird. Dies führt zum Verdorren des Lebensbaums. Wotan wird zum „traurigsten aller Götter“ und  Walhalla ist eine Totenburg, wo die gefallenen Kriegerinnen und Krieger ewig ruhen. Auch die junge und schöne Freia, die Lebendigkeit und Fruchtbarkeit verkörpert, soll für den Bau der Totenburg geopfert werden. Seine „Liebes-Kinder“ Sigmund und Sieglinde lässt Wotan töten, ebenso seinen Enkel Siegfried. Seine Lieblingstochter Brünnhilde verstößt er, weil sie das Leben retten will, und schließlich vergeht die Welt in einem spektakulärengrandiosen Brand unter.   

Dieser Mythos hat auf eine schauerliche Weise im Nationalsozialismus reale politische Wirkung entfaltet. Hitler und seine Schergen haben sich an diesen Weltuntergangsszenarien berauscht. Der grandiose Untergang steht über dem Leben, die wahre Erfüllung ist die totale Zerstörung. In Unterschied zu Richard Wagner wird menschliche Zerstörungswut nicht im Medium der Kunst emotional erlebbar und intellektuell verstehbar, sondern die Gewaltneigung wird als brutale Realität inszeniert.

Ich fürchte, dass auch bei Waldimir Putin die Idealisierung von Macht und Größe unter Preisgabe des Lebens eine große Rolle spielt. Er scheut sich nicht, grausame und brutale Herrscher wie Iwan den Schrecklichen als quasi mythologische Gestalten zu verherrlichen. Die historischen Begründungen, die Putin für sein Zerstörungswerk liefert, berücksichtigen weder das Leiden lebendiger Menschen noch ihre Sehnsüchte und positiven Zukunftshoffnungen. Sie bereiten lediglich auf Verwüstung und Tod vor. Sie erinnern den Psychiater und Psychoanalytiker an verzweifelte Menschen, die andere und schließlich sich selbst zerstören, um ein grandioses Ideal aufrecht zu erhalten. Die Einsicht in die eigene Vergänglichkeit wird verleugnet und der Selbsthass nach außen gewandt. Im schlimmsten Fall entfesselt er eine grandiose Zerstörungslust. Auch der innere Reichtum vieler älterer Menschen, die Erfüllung in ihren lebendigen Erinnerungen, glücklichen kulturellen Erfahrungen und der Freude an ihren Nachkommen finden, wird neid- und hassvoll zerstört. Präsident Putin wird über diese Motive von Selbst- und Weltzerstörung nicht nachdenken, aber vielleicht jemand in seinem Umfeld.

                          

Prof. Dr. med. Rainer M. Holm-Hadulla ist Psychiater und Psychoanalytiker und forscht und lehrt als apl. Professor an der Universität Heidelberg