Plassmann, Reinhard (2019): Psychotherapie der Emotionen. Die Bedeutung von Emotionen für die Entstehung und Behandlung von Krankheiten. Psychosozial-Verlag, (Gießen) 330 Seiten. ISBN 978-3-8379-2884-6. Reihe: Therapie & Beratung.

Rezensent: Jörg Scharff, Kronberg

Titel und Untertitel beschreiben treffend, worum es dem Autor geht: die zentrale Bedeutung der emotionalen Prozesse in der therapeutischen Situation und deren heilungsfördernde Transformation in psychotherapeutischen Gegenwartsmomenten.

Emotionen, die »gleichsam eine Benennung, Zusammenfassung und Beurteilung äußerst komplexer innerer und äußerer Vorgänge« repräsentieren, »stehen an zentraler Stelle im seelischen Geschehen, sie bewegen, organisieren, sie sind Energiequellen und sie können krank machen«. Hat »gesundes emotionales Material stets die Eigenschaft der Regulierbarkeit«, so hat »krankmachendes emotionales Material… stets die Eigenschaft der Unreguliertheit«. Dann werden Notmaßnahmen aktiviert, wie zum Beispiel die Verlagerung der Emotionen in den Körper oder die Abspaltung der Emotionen. »In die Therapiestunde kommt stets jenes emotionale Material, dessen Ordnung, also dessen Regulation, noch unvollständig ist, der Patient braucht für dieses noch desintegrierte emotionale Material das antwortende Gegenüber und braucht den Ordnungsprozess der Therapiestunde. Es geht um »einen Mitteilungsversuch von tief Unbewussten im Dienst der Selbstheilung.«

Seelisches Wachstum verknüpft sich für Plassmann mit rhythmischen Regulationsvorgängen, die er Kernprozesse nennt. Hierbei handelt es sich zunächst um die Regulation der Emotionsstärke: während zu starke oder zu schwache Emotionen den therapeutischen Prozess blockieren, sind Emotionen, die sich im Mittelbereich einregulieren, für die Veränderungsprozesse optimal. »Der Mittelbereich ist die Wachstumszone der seelischen Transformationsprozesse«. Im Weiteren geht es um die Emotionsqualität, die Bipolarität im Sinne einer rhythmischen Balance zwischen negativen und positiven Emotionen. Die Mentalisierung fördert die sprachliche Integration leiblicher, gefühlsmäßiger und kognitiver Inhalte und führt bislang unzugängliche Inhalte dem autobiografischen Narrativ zu. Schließlich geht es in der kommunikativen Regulation um die interaktive Abstimmung beider Gesprächspartner z.B.  im Wechsel der Aufmerksamkeit von außen nach innen und umgekehrt oder im Sprechen und Hören.

Grundlegend ist für Plassmann die Unterscheidung zwischen Prozess und Inhalt, wobei mit Prozess alle Vorgänge der Musterbildung und Musterveränderung gemeint sind, die mit einem Prozessgefühl wahrgenommen werden können. Letztere haben transformatorischen Charakter. Am Anfang der Behandlung steht für den Autor nicht die Ursachensuche, sondern die Analyse der Muster und der Musterunterbrechungen, und in den meisten Fällen gestörter Regulation wird die Prozessdeutung den Vorrang vor der Inhaltsdeutung haben. Es geht darum, »wahrzunehmen und zu beobachten, was sich auf der Ebene der emotionalen Regulationsprozesse ereignet. Das Wahrnehmungsinstrument ist die Prozessresonanz

»Die therapeutische Situation stellt also geeignete Bedingungen für die Nachbearbeitung her: kontrollierte, bewusste Aufmerksamkeit auf negative emotionale Erinnerungen und zugleich auf die gegenwärtige Situation, dabei mittlere emotionale Erregung, ständige Präsenz positiver Emotionen, den kontrollierten Wechsel zwischen negativen und positiven Emotionen in einer Art Schwingung und jederzeit präsente Orientierung im Jetzt.«

Plassmann fasst zusammen, dass die systematische Arbeit mit den emotionalen Prozessen keine Neuentwicklung psychotherapeutischer Methoden erfordert, sondern ein Einordnen der vorhandenen Methoden unter das übergeordnete Ziel der Emotionsverarbeitung. Dabei versteht Plassmann den Therapeuten nicht als den »Bewirker« eines Heilungsprozesses, sondern als einen »Mitwirker«.

Didaktisch ist das Buch hervorragend aufgebaut: es ist in zwei Großkapitel aufgeteilt, zunächst den »Grundlagen einer Psychotherapie der Emotionen«, im Anschluss dann »Krankheitsbilder und Methoden«. Beide Kapitel sind wiederum in vielerlei Unterkapitel gegliedert, die in Kapitel I in einer umfassenden Darstellung den gegenwärtigen ‚state of art‘ relevanter psychotherapeutischer Forschung vermitteln - u.a. einen Überblick über die moderne Emotionsforschung, die Säuglingsforschung, die neurobiologische Grundlagenforschung, die Bindungstheorie und die Ergebnisse der modernen Traumatherapie. Im Kapitel II werden anhand von Depression, Borderline- Störung und Traumafolgestörungen exemplarisch einige Krankheitsbilder und sodann im Detail das methodische Arbeiten des Therapeuten beschrieben. Der Leser wird Schritt für Schritt an die Hand genommen, die verschiedenen Theorien und Konzepte werden anschaulich und praxisnah vermittelt. Plassmann hilft dem Leser durch viele Fallbeispiele und einfache Bilder zu verstehen, worum es ihm geht. Die zentralen Gedanken und Konzepte werden dabei unter verschiedenen Aspekten immer wieder neu aufgegriffen und weiter differenziert. So etwa, wenn die Transformationsprozesse unter den Gesichtspunkten der Integration, des Perspektivenwechsels, der Zeitordnung, der Sinnfindung und des Enactment untergliedert werden. Über diese Wiederholungen fällt das Lernen leicht und am Ende stellt der Leser befriedigt fest, dass er sich ohne große Mühe einen wichtigen Stoff erarbeitet hat.

Das klinische und theoretische Denken von Plassmann ist durch weitgefächerte theoretische Kenntnis, Offenheit, Vielseitigkeit und hohe Integrationskraft gekennzeichnet. Im Netz verschiedener Theorien und Behandlungskonzepte fühlt sich der Leser gehalten und gleichzeitig klar in dem orientiert, worum es Plassmann geht. Bei aller Bezugnahme auf die umfangreiche Literatur zur Theorie und Praxis der Psychotherapie spürt man bis zum letzten Kapitel die eigene Handschrift und Intention des Autors. 
Das Buch ist nicht nur ein grundlegendes Werk für die psychotherapeutische Arbeit, auch erfahrene Kollegen werden manches finden, das sie zu einer neuen Gewichtung bisher vernachlässigter Aspekte anregen wird.

Plassmann verfügt über langjährige klinische Erfahrung. Er fasst in diesem Buch seine jahrzehntelangen Forschungen und früheren Veröffentlichungen zur klinischen Praxis zusammen. Es ist ihm zuzustimmen, wenn er am Ende schreibt, er hoffe, dies sei sein bestes Buch - jeder Psychotherapeut wird dieses Buch mit großem Gewinn lesen.