Hans Hopf :„Flüchtlingskinder - gestern und heute. Eine Psychoanalyse“

Hans Hopf :„Flüchtlingskinder - gestern und heute. Eine Psychoanalyse“
(Klett-Cotta 2017) 22,00 EU

Rezensentin: Katja Westlund-Morgenstern, Psychoanalytikerin, Hamburg
Vorabdruck einer Rezension aus der  Zeitschrift “Kinderanalyse. Psychoanalyse im Kindes- und Jugendalter und ihre Anwendungen” 2018/1

 

Hans Hopf hat mit seinem neuen Buch „Flüchtlings-Kinder gestern und heute“ ein wichtiges und eindringliches Zeitdokument vorgelegt, für das man ihm zutiefst dankbar sein muss.

Der erste Teil des Buches ist eine Schilderung der eigenen Kindheitsgeschichte des Autors. 1942 im Sudetenland geboren, erlebte Hans Hopf Krieg, Vertreibung und Flucht, eine frühe Trennung von der Mutter, die ihn drei Jahre lang bei der Großmutter unterbringt. Mit sechs Jahren kehrt er zur Familie zurück, lernt erstmals seinen Vater kennen und verbringt fast die gesamte Kindheit unter schwierigsten Bedingungen in einem Flüchtlingslager.

Es ist gerade die Schlichtheit der Erzählweise, die diesen Bericht so eindringlich macht und den Leser so unmittelbar erreicht. Es ist ein Bericht von verstörender Offenheit und ein Geschenk für denjenigen Leser, der ihn zu lesen erträgt. Erträglich wird dieser Bericht durch die Lebendigkeit der Erzählweise, die all diesem Grauen zu trotzen scheint, und durch die Kraft und den Mut des Erzählers, der all dies psychisch überlebt hat – eine Tatsache, die fortwährend und wie ein beruhigender Bordun-Ton zwischen den Zeilen mitklingt.

Hans Hopf verknüpft in diesem Buch sein eigenes Erleben mit der heutigen Situation der Flüchtlinge, zieht Parallelen und erläutert die Unterschiede der Situationen von damals und heute. Er berichtet aus eigenen Therapien bzw. von Supervisionen therapeutischer Arbeit mit Flüchtlingen. Er wendet sich dabei hauptsächlich an eine nicht psychoanalytisch ausgebildete Leserschaft, bringt dem Leser dabei auf unaufdringliche, sensible und klar verständliche Weise seinen psychoanalytischen Blickwinkel nahe.

Im folgenden Teil des Buches stellt Hopf die Frage, ob „ein Therapeut selbst psychische Probleme haben darf“. Dies ist der Mittelteil des Buches, und man gewinnt den Eindruck, es sei auch sein emotionales Herzstück. Hans Hopf berichtet mit großer Wärme und Dankbarkeit von seinen eigenen analytischen Erfahrungen als Patient in für ihn sehr hilfreichen Behandlungen. Auch dieser Bericht ist von großer Offenheitt. Hier allerdings schlich sich bei der Rezensentin eine Skepsis ein und eine Unsicherheit, ob man als Leser auf diese Weise mitgenommen werden will in die Intimität eines Behandlungszimmers. Dieser Teil des Buches – von zentraler Bedeutung sicherlich für Hans Hopfs Leben - erscheint mir für den Wert dieses Buch und für dessen Leser nicht unbedingt notwendig.

Ein weiterer Aspekt, der merkwürdig widersprüchlich erscheint in diesem Mittelteil ist dieser: Der Bericht über die eigene Analyse-Erfahrung ist ein eindrucksvolles und leidenschaftliches Plädoyer für die psychoanalytische Behandlungsmethode, die der Autor als wirkliche Rettung beschreibt. So begeistert er aber von der Methode der Psychoanalyse spricht, so heftig greift er gleichzeitig die Psychoanalyse – oder eine Spielart von ihr - selbst an.

So schreibt Hans Hopf, es sei „eine Lebenserfahrung, dass Psychoanalyse auch zur Diskriminierung und als Macht-Instrument eingesetzt werden“ könne. Die Psychoanalytiker würden „seine Berichte über die eigenen Verletzungen womöglich als narzisstisch, exhibitionistisch und masochistisch“ bezeichnen. Er halte diese Berichte jedoch für notwendig, und er schließt: „.... Insofern nehme ich auch entsprechende „Deutungen und mögliche Diskriminierungen“ in Kauf.“

Man fühlt sich damit als Psychoanalytiker*in unter Generalverdacht gestellt. Dies war mir eine persönliche Enttäuschung, nachdem der erste Teil des Buches mit den persönlichen Berichten mich auf so verstörende und berührende Weise in seinen Bann gezogen und für den Autor eingenommen hatte.

Das letzte Drittel des Buches ist den heutigen Flüchtlingskindern gewidmet. Hans Hopf beschreibt auf einfühlsame Weise die Situation der Kinder und Jugendlichen aus meist muslimischen Familien und widmet ein Kapitel der Entwicklung des Jungen. Er stellt Zusammenhänge her zwischen den traumatisierenden Erlebnissen der heranwachsenden Männer, den Verwirrungen, die von der scheinbar regel- und grenzenlosen westlichen Welt ausgehen und der Entstehung von narzisstischer Wut.

Auf diese Weise gelingt Hans Hopf eine schwierige Gratwanderung, die Bernd Ulrich in der ZEIT so beschreibt: „Eine Öffentlichkeit, die Verstehen mit Verständnis gleichsetzt, verschließt sich den Weg zu den tieferen Ursachen von Gewalt und Terror.“ (B. Ulrich, die ZEIT 2016 Nr. 31)

Hans Hopf gelingt es ein Verstehen zu vermitteln und gleichzeitig die Notwendigkeit von klaren Regeln und Grenzen zu betonen, die nur aus einer stabilen Beziehung zu einem guten väterlichen Objekt entwickelt und internalisiert werden können. (Hier erkennen die Kollegen der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie auch den Gutachter Hans Hopf wieder, der der Autorin in verschiedenen schwierigen Behandlungen als Gutachter eine wichtige, gutartige, menschliche und wertschätzende Instanz im Hintergrund war!)

Eine ausführliche und eindrucksvolle Darstellung einer Behandlung, die Hopf als Supervisor begleitet hat, beschließt den kasuistischen Teil des Buches. Amal, ein somalisches Mädchen, hatte den ausdrücklichen Wunsch geäußert, dass ihre Geschichte veröffentlicht würde. Diesen Wunsch teilt sie offensichtlich mit Hans Hopf. Und so ist dieses Buch ein großes und eindrückliches Plädoyer für das Sprechen und Dokumentieren und dafür, dass es in der Behandlung von traumatisierten Kriegsflüchtlingen darum gehen muss, nach einem noch so winzigen Teil eines „Präkonzepts von Containment“ zu suchen, der überlebt haben mag und den es zu retten und zu hegen gilt, um ein Vertrauen in stabile Objektbeziehungen wieder zu ermöglichen. Überlegungen zur Entstehung und Psychopathologie der Fremdenfeindlichkeit beschließen das Buch.

Dies ist ein beeindruckend authentisches Buch von großer Erzählkunst. Es ist ein sensibler und nachdenklicher Beitrag eines analytischen Psychotherapeuten, ein hilfreicher, zuweilen mahnender Ratgeber für Pädagogen, Sozialpädagogen, aber auch für die Politik und für interessierte Laien.