Von der Mythologie zu Freuds bahnbrechendem Konzept und modernen Weiterentwicklungen der Psychoanalyse
Vortrag am 16.09.15
Sommeruniversität der DPV
Frankfurt
Ich danke Friedrich Kremp für wertvolle Hinweise zur Mythologie
Ich möchte ich Sie auf zwei große Reisen mitnehmen, die beide die Suche nach dem Ödipus zum Ziel haben:
Die erste Reise führt durch ein Stück Menschheitsgeschichte, von archaischen Zeiten bis zu Sophokles und seinem „Ödipus Rex“. Die zweite Reise geht durch die emotionale Entwicklung des Kindesalters und führt ebenfalls zum Ödipus – nämlich zur „ödipalen Phase“ nach Freud. Wir werden also einmal in der Kulturgeschichte und einmal in der Geschichte der kindlichen Entwicklung nach dem Ödipus suchen.
Ich denke, dass es Parallelen zwischen diesen beiden Welten geben wird, und dass manche Elemente der kindlichen Phantasie plastischer werden, wenn man sie auf der großen Bühne der Mythologie beschreibt.
Eine dritte Reise ist ein Abstecher in die Weiterentwicklung der psychoanalytischen Theorie um den Ödipus-Komplex.
Ich möchte meinem Vortrag folgendes Zitat voranstellen:
Am 2.10.1797 schrieb Schiller in einem Brief an Goethe:
„Ich habe mich dieser Tage viel damit beschäftigt, einen Stoff zur Tragödie aufzufinden, der von der Art des Oedipus Rex wäre und dem Dichter die nämlichen Vortheile verschaffte. Diese Vortheile sind unermeßlich, wenn ich auch nur des einzigen erwähne, daß man die zusammengesetzteste Handlung, welche der tragischen Form ganz widerstrebt, dabei zum Grunde legen kann, indem diese Handlung ja schon geschehen ist, und mithin ganz jenseits der Tragödie fällt. Dazu kommt, daß das Geschehene, als unabänderlich, seiner Natur nach viel fürchterlicher ist, und die Furcht daß etwas geschehen seyn möchte, das Gemüth ganz anders afficirt, als die Furcht, daß etwas geschehen möchte.
Der Oedipus ist gleichsam nur eine tragische Analysis. Alles ist schon da, und es wird nur herausgewickelt. Das kann in der einfachsten Handlung und in einem sehr kleinen Zeitmoment geschehen, wenn die Begebenheiten auch noch so complicirt und von Umständen abhängig waren. Wie begünstigt das nicht den Poeten!
Aber ich fürchte der Ödipus ist seine eigene Gattung und es giebt keine zweite Species davon; am allerwenigsten würde man aus weniger fabelhaften Zeiten ein Gegenstück dazu auffinden können. Das Orakel hat einen Antheil an der Tragödie, der schlechterdings durch nichts anderes zu ersetzen ist; und wollte man das Wesentliche der Fabel selbst, bei veränderten Personen und Zeiten, beibehalten, so würde lächerlich werden, was jetzt fruchtbar ist.“ (Inselverlag 1955)
Die Tragik der Analysis bei Ödipus bestehe, so Schiller, darin, dass alles schon passiert ist – denn bei Sophokles werden tatsächlich erst aus der Rückschau die Zusammenhänge klar. Genau wie in der Psychoanalysen eben auch. Es zieht sich durch die gesamte Tragödie bei Sophokles eine Gleichzeitigkeit von „Wissen“ und „Nicht-Wissen“ um die Dinge, die sogar den Zuhörer erfasst. Auch der Zuhörer, – der natürlich genau weiß, wie die Geschichte geht – scheint während des Stückes diesen Erkenntnisprozess nochmals mit zu durchlaufen.
Uns Psychoanalytiker sticht natürlich besonders Schillers Ausdruck „tragische Analysis“ ins Auge. Manche Fachleute sind der Meinung, dass Josef Breuer, der die erste Patientin der Psychoanalyse, Anna O. behandelt hatte diesen Brief kannte und die neue Behandlungstechnik von Freud und Breuer in Anlehnung an Schillers Formulierung den Namen „Psycho-analyse“ bekam.
Die Tragödie des Ödipus Rex beginnt also bei Sophokles, als alles schon passiert ist, an folgender Stelle:
König Ödipus ist bereits seit 17 Jahren König von Theben, als die Stadt von einer Seuche heimgesucht wird. Der Bruder seiner Frau Jokaste, Kreon, überbringt die Botschaft des Orakels: Die Stadt beherberge immer noch den Mörder des vorigen Königs Laios, den ersten Mann der Jokaste.
Der Seher Teresias weigert sich zunächst, benennt dann jedoch, nachdem Ödipus kindisch und ausfallend gegen ihn wird, Ödipus selbst als den Mörder des Laios.
Es folgt ein langes Ringen um und mit der Wahrheit. Schließlich ist sie nicht mehr zu leugnen. Als Ödipus der Wahrheit ins Auge sehen muss, gerät er außer sich, rennt ins Haus um Jokaste zu suchen und ruft: „Gebt mir mein Schwert! Wo ist diese Frau?!“ Spontan richtet sich seine Wut auf Jokaste. Als er entdeckt, dass Jokaste sich erhängt hat, blendet Ödipus sich mit ihren Nadeln.
Was war passiert?
Die Geschichte beginnt damit, dass das Orakel des Apoll Laios voraussagt, dass er durch die Hand seines Sohnes sterben wird. Um dies zu verhindern, durchbohren Laios und seine Frau Jokaste ihrem neugeborenen Sohn die Füße und setzen ihn aus.
Ein Hirte hat Mitleid und bringt das Baby an den Königshof von Korinth, wo das kinderlose Königspaar, Polybos und Merope, es aufnehmen und als ihren Sohn aufziehen. Aufgrund der geschwollenen Füße erhält das Baby den Namen Ödipus (griechisch: geschwollener Fuß).
Ein Betrunkener auf einem Fest erklärt Ödipus, dass er nicht der leibliche Sohn seiner Eltern sei. Ödipus sucht das Orakel von Delphi auf, das sich aber in der Frage seiner Abstammung bedeckt hält. Stattdessen hört Ödipus den bekannten Spruch: Er wird seinen Vater töten und die Mutter heiraten.
Um diesem Unheil zu entgehen beschließt Ödipus, nicht mehr nach Korinth zurückzukehren und trifft auf einer Wegkreuzung auf Laios. Provoziert von dessen Diener gerät Ödipus in einen Streit und bringt die gesamte Reisegruppe, also auch seinen Vater Laios, um. Ein Diener kann fliehen und in Theben Bericht erstatten.
Ödipus gelangt nach Theben, wo er die Stadt von einem Fluch befreien kann, in dem er das Rätsel der bösen Sphinx löst: Was geht zunächst auf vier, dann zwei, dann drei Beinen? Es ist der Mensch, der als Baby auf allen Vieren krabbelt, dann zweibeinig läuft und im Alter einen Stock braucht.
Ödipus wird als Retter der Stadt gefeiert und erhält die – frisch verwitwete - Königin zur Frau.
Dass der Spruch des Orakels, den Laios veranlasst hatte, ein Fluch ist, der mit gutem Grund auf ihm lastet, findet in der Version des Ödipusmythos von Sophokles keine Erwähnung. Ebenso bleibt die Geschichte von Laios unerwähnt: Laios hat selbst seinen Vater im Alter von einem Jahr verloren – heute würden wir ihn vielleicht als einen früh traumatisierter Mann ansehen. Er hat einen kleinen Jungen, Chryssipos entführt und missbraucht.
Laios, Ödipus´ Vater, gilt damit in der griechischen Mytholigie als der „Erfinder der Knabenliebe“, die bei den Griechen jahrhundertelang von besonderer kultureller Bedeutung war. Mit dem Missbrauch an Chryssipos zog Laios die Wut der Götter auf sich: Allen voran Apollon, der der Beschützer der Knaben und Jünglinge war, aber auch Hera als Hüterin der Ehe, war wütend, weil der Knabe dem Laios die Ehefrau ersetzen sollte. Auf diese Weise kam der bekannte Fluch durch das Orakel des Apoll zustande: Laios durfte mit seiner Frau kein Kind zeugen. Sollte er es doch tun, würde er durch die Hand des Sohnes sterben, der dann die eigene Mutter heiraten würde.
Nach einem rauschenden Fest kann Laios sich nicht beherrschen und zeugt mit Jokaste den Sohn, und so nimmt das Unglück seinen Lauf.
Der Mythos des Ödipus
In der „Zeit“ vom 9.10.2014 fragt Siegfried Lenz „Was sind Geschichten?“ Sein Antwort ist: „Es sind Versuche, die Wirklichkeit da zu verstehen, wo sie nichts preisgeben möchte.“ Zu unserem Thema hier könnte man mit Sigfried Lenz fragen: „Was sind Mythen? – Es sind Versuche, die Menschen da zu verstehen, wo sie nichts preisgeben möchten.“ (Die „Zeit“ 2014)Ich denke, es wird deutlich, dass Mythen für Psychoanalytiker besondere Bedeutung haben können.
Mythen werden durch Jahrtausende der Menschheitsgeschichte weitergegeben, immer wieder geformt und umgeformt. Man könnte sagen, dass sie von phylogenetisch vermittelten unbewussten Inhalten geschrieben und umgeschrieben werden. Und wie die Wellen die Felssteine formen, so kann man an den Mythen den Abdruck der unterschiedlichen Zeiten und Menschen und des menschlichen Unbewussten erahnen. Daher sind sie uns bedeutsam. Dieter Bürgin sprach in diesem Zusammenhang von den Göttern als „projektiven Selbstanteilen, die dann kollektiv geteilt werden.“ (Bürgin, Vortrag in Wien 2014) Landläufig spricht man von Projektion als Abwehrvorgang, mit denen der Mensch versucht einen unerwünschten Selbstanteil loszuwerden, in dem er ihn anderen zuschreibt. Bürgin jedoch spricht von einer Verdoppelung: Man projiziert einen Selbstanteil auf die Bühne der Mythologie, nicht, um ihn loszuwerden, sondern im Sinne einer Verdoppelung, um ihn besser sehen und mit ihm in Kontakt treten zu können.
Vom Ödipus-Mythos gibt es unzählige Versionen und Variationen, entsprechend der Zeit und Gesellschaft, in der sie entstehen. Um das Drama „König Ödipus“ von Sophokles zu verstehen, auf das Freud sich beruft, muss der geschichtliche und gesellschaftliche Rahmen seiner Entstehung berücksichtigt werden.
Als Sophokles den Ödipus Rex schreibt, ist der Ödipus-Mythos bereits mindestens 1000 Jahre alt, manche Historiker sagen sogar, es handle sich um einen steinzeitlichen Mythos. Jedenfalls entstammt der Ödipusmythos archaischen Zeiten, und damit auch der Auseinandersetzung mit matriarchalen Kulturen.
In diesen archaischen Zeiten herrschte folgende – ebenfalls über Mythenerzählungen vermittelte – Vorstellung: Es gab eine „Urmutter“ – Gaia – die „Mutter Erde“. Aus einem Traum Gaias entstand – also quasi in unbefleckter Empfängnis – Uranus, der „Urvater“. Uranus ist das „Weltall“, das Mutter Gaia umgibt. Die Kinder der beiden sind die Titanen. Sie sehen, schon hier ist ganz selbstverständlich: Gaia hat Kinder mit ihrem eigenen Sohn. Keiner stört sich daran – Gesetze dieser Art gibt es nicht. Und offensichtlich auch keine genaue Vorstellung von den Zusammenhängen zwischen Zeugung und Geburt.
Aber es gibt steinzeitliche Ritzbilder, auf denen abgebildet ist, wie Männer mit Pflügen die Erde beackern – also „Mutter Erde“ fruchtbar machen – und sie sind mit erigiertem Penis abgebildet.
Zurück zu Gaia und Uranus: Uranus ist aggressiv den Kindern gegenüber. Mit seinem Riesenpenis stößt er sie immer wieder in Mutter Erde zurück. Daher müssen die Titanen, die Kinder von Gaia und Uranus, unterirdisch wohnen. Was sie ihrerseits wütend macht. Sie fressen sich dort gegenseitig, Chef-Titan Kronos frißt dazu auch seine Kinder.
Die Titanen aber wollen endlich oben an der Sonne leben. Man könnte sagen: Sie wollen den Platz des Vaters einnehmen. Schließlich hilft Mutter Gaia, indem sie Stahl besorgt – natürlich auch aus ihrem Inneren, aus der Erde. Mit dem Stahl schmieden die Titanen Schwerter. (Sie werden später hören, dass dies überraschend präzise den Phantasien der analen Phase entspricht – die Mutter hat dort einen magischen Phallus, der zaubern kann!) Mutter Gaia hilft, den Vater Uranus festzuhalten, und die Titanen - allen voran Kronos – hacken Uranus seinen Riesenpenis ab, und sie können fortan oben auf der Erde leben. Kronos, der Anführer dieses Aufstands, ist übrigens der Vater von Zeus. Auch er wird später von seinem Sohn kastriert. Der abgehackte Penis des Uranus aber fällt ins Meer. Ein Samentropfen daraus fällt auf eine Welle, und daraus entsteht: die Liebesgöttin Aphrodite.
In dieser Geschichte geht bunt durcheinander, was im Ödipus bei Sophokles als schreckliche Schuld gegeißelt wird. Die Titanen, Gaia, Zeus etc. niemand scheint ein schlechtes Gewissen zu haben, niemand scheint mit Schuldgefühlen zu kämpfen. Was stört wird beseitigt. Und meist ist es der Vater. Ein Inzestverbot bzw. Mordverbot gibt es nicht. In diesen Geschichten gibt es keine Angst vor Schuld – was im Ödipus des Sophokles ein Hauptthema ist. In diesen archaischen Zeiten gibt es höchstens Angst vor Rache.
In dem schon zitierten Schillerbrief steht: „Dazu kommt, daß das Geschehene, als unabänderlich, (seiner Natur nach) viel fürchterlicher ist, und die Furcht daß etwas geschehen seyn möchte, das Gemüth ganz anders afficirt, als die Furcht, daß etwas geschehen möchte.“
Schiller sagt damit, dass die Angst vor Schuld viel fürchterlicher ist, als die vor Rache, vor der man sich vielleicht noch schützen kann.
(Dies ist der oralen Phase, von der wir gleich hören werden, sehr ähnlich, vor allem bei Melanie Klein wird es gleich deutlich werden.)
Für unsere Untersuchungen ist zunächst nun zweierlei wichtig: Einmal scheinen schon die frühen Mythen zu sagen, dass man nur erwachsen werden und einen Platz an der Sonne bekommen kann, wenn man den Vater kastriert oder umbringt ihn jedenfalls als männlichen Rivalen beseitigt. Und zweitens wird hier deutlich, was auch in der Psychoanalyse bedeutsam ist: Der Hass geht der Liebe voraus. Aphrodite entsteht aus einer höchst aggressiven Handlung. Die Liebesgöttin kann entstehen, nachdem zuvor der Hass gewaltet hat.
Das „mythologische Zeitalter“ der Griechen endet mit einer Schrift, die das „wissenschaftliche Zeitalter“ einläutet, nämlich mit Platons „Staat“. Fast zeitgleich, nur ca. 35 Jahre zuvor, schreibt Sophokles seine Tragödie „Ödipus Rex“. (429 v Chr.)
In Platons „Staat“ heißt es sinngemäß: „Die Götter beneiden die Menschen nicht nur um die Sterblichkeit – sie beneiden sie um das Staatswesen.“ Das heißt, um dieses ordnende Element, die ordnenden Gesetze. In der Ödipusgeschichte – und zwar bei Sophokles und Freud - geht es genau darum. In der Mythologie zuvor war es so, dass man aus dem Weg räumte, was gestört hat bzw. dass man z.B. die Mutter begehren konnte, wie man wollte. Es gab kein ordnendes Verbot, kein „Inzestverbot.“ Im Gegenteil: im alten Ägypten etwa – also in der Antike aus der Perspektive von Sophokles, gehörte es eher zum guten Ton bei vornehmen Familien, dass ein Inzest mit den Heranwachsenden stattzufinden hatte.
Ein kurzer Exkurs in das ausgehende 19. Jh.: Die Wiener Gesellschaft reagierte hell empört und pikiert auf Freud und die Vorstellung, kleinen Kindern ein sexuell gefärbtes Begehren, das auf die Eltern gerichtet ist, zu unterstellen.
Die feinen Wiener irrten jedoch und rümpften die Nase ganz umsonst: Neu war bei Freud gar nicht, ein Begehren zu postulieren – dieses ist – wie dargestellt - seit archaischen Zeiten bekannt. Neu war das Gesetz, mit dem das Begehren dann in Konflikt geraten kann, und das pathologische Schicksal, das die Triebe nehmen können, wenn das Gesetz nicht zu akzeptieren ist.
Sophokles war ehrgeizig. Er wollte mit der Tragödie „Ödipus Rex“ den begehrten Tragödienwettbewerb beim Fest der großen Dyonisien gewinnen, was ihm einige Male gelang. Für seinen Ödipus Rex allerdings gab es nur den zweiten Preis.
Er musste also aus einem bekannten Mythos einen zeitgemäßen Stoff machen – und ein klares modernes Thema behandeln. Sein Thema war: Gesetze, ordnende Strukturen – und damit auch Schuld.
Man könnte zusammenfassend sagen: In der Geschichte der Mythen gibt es ein Korrelat zu den von Freud postulierten psychosexuellen Entwicklungsphasen der persönlichen Geschichte:
Das Chaos der archaischen Welt der Fühzeit gleicht der oralen Phase. Der Versuch, Kontrolle über das Chaos zu gewinnen, geht zunächst über Vorstellungen von Zauberei und Magie. Die mythologischen Blüten, die das in der individuellen Geschichte des einzelnen Menschen treibt, würden der analen Phase zugerechnet werden können. Und schließlich gibt es eine ödipale Phase, in der es ordnende Gesetze gibt, Verbote und „Schuld“ - und damit die Entwicklung eines kindlichen Gewissens und des Über-Ich. Es gibt ein internalisiertes Verbot: „Du sollst die Mutter nicht begehren und den Vater nicht aus dem Weg räumen wollen.“ Mit der ödipalen Phase ist das Kind quasi im „wissenschaftlichen Zeitalter“ angelangt, in dem es die – von den Göttern beneideten – ordnenden Gesetze gibt, eine Art inneres Staatswesen.
Das innere Korrelat der Mythengeschichten, die kindliche Entwicklung der Psyche, werden wir nun genauer untersuchen.
2. Zur kindlichen Entwicklung:
Um den Ödipuskomplex bei Freud zu verstehen, müssen wir untersuchen, auf welchem emotionalen Hintergrund die so genannte ödipale Phase sich entfaltet.
Freud geht dabei von den Trieben und der von ihm so genannten „infantilen Sexualität“ aus. Er entwickelt seine Triebtheorie, indem er untersucht, welche Reise durch die psychische Entwicklung die Sexualtriebe nehmen, bevor sie an ihrem eigentlichen, also genitalen Bestimmungsort ankommen, und welches Schicksal sie dabei erfahren. Erst Freuds Nachfolger rücken die Entwicklung der Objektbeziehungen deutlicher in den Fokus. (Diese scharfe Trennung – zwischen Triebtheorie und Objektbeziehungstheorie – „hinkt“ sehr: Denn es gibt natürlich keinen Trieb ohne Objekt – und auch keine Objektbeziehung ohne Triebe. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Es geht also nur um die Verlagerung eines Schwerpunktes.).
Die frühste Stufe der Libido-Organisation nach Freud ist die orale Phase: Das Lust- und Befriedigungsempfinden zentriert sich auf den Mund, die Mundschleimhaut und auf die Haut in der Berührung mit der Mutter. (Ich spreche hier von „Mutter“ als Bezeichnung für die Person, die die mütterliche Funktion übernimmt.) Freud schreibt:
„Der biologische (Faktor) ist die lang hingezogene Hilflosigkeit und Abhängigkeit des kleinen Menschenkindes. Die Intrauterinexistenz des Menschen erscheint gegen die der meisten Tiere relativ verkürzt; es wird unfertiger als diese in die Welt geschickt. Dadurch wird der Einfluß der realen Außenwelt verstärkt, die Differenzierung des Ichs vom Es frühzeitig gefördert, die Gefahren der Außenwelt in ihrer Bedeutung erhöht und der Wert des Objektes, das allein gegen diese Gefahren schützen und das verlorene Intrauterinleben ersetzen kann, enorm gesteigert. Dies biologische Moment stellt also die ersten Gefahrsituationen her und schafft das Bedürfnis, geliebt zu werden, das den Menschen nicht mehr verlassen wird.“ (Freud 1926):
Versuchen wir uns die Anfangssituation vorzustellen: Die plötzliche Veränderung des Hautgefühls nach der Geburt muss ein überwältigender Eindruck sein. Von dieser markerschütternden Erfahrung kann man sich als erwachsener Mensch eigentlich keine Vorstellung machen. Vielleicht ist es am ehesten passend sich eine Szenerie nach Art eines Science Fiction Films zu denken: Plötzlich, so stelle man sich vor, fast von einem Moment auf den anderen, sei man nicht mehr von Luft umgeben, sondern von einem anderen, bislang völlig unbekannten Element, z.B. Gel oder Schaum. Und nicht nur das, plötzlich klingt, riecht, scheint alles völlig außerirdisch. Nichts am Körper funktioniert mehr wie zuvor. Das Atmen ist neu: Man stelle sich vor, es würde sich zum Beispiel plötzlich unsere Armbeuge öffnen und ein Sauerstoff-Gel aufnehmen, und wir würden plötzlich nicht mehr durch die Lunge atmen, wie wir es gewohnt sind. Würde einem erwachsenen Menschen derartiges zustoßen, würde er vermutlich psychotisch.
(Ich denke, dass manche Science Fiction Filme, in denen die Protagonisten plötzlich in eine derart fremde Welt katapultiert werden, etwas von diesen ersten Erfahrungen nach der Geburt abbilden könnten bzw. etwas von dieser Erfahrung zu explorieren versuchen.)
Vor diesem Hintergrund ist gut nachvollziehbar, wie wichtig, beruhigend und „lustvoll lindernd“ die Berührung und das gehalten Werden durch die Mutter beim Baden, Abtrocknen, Wickeln und natürlich beim Stillen ist.
Es gibt eine weitere schwer erträgliche Neuerung: Das Kind merkt, dass die Befriedigung nicht mehr automatisch kommt, dass man nach einer Brust suchen muss, die mal da ist und mal nicht. Es gibt ein - zunächst fremdes - Hungergefühl, das aber gar nicht mehr automatisch befriedigt wird.
Das Kind ist also hilflos abhängig. Ist die Brust zu lange weg gewesen und ist der Hunger und damit die Angst zu groß geworden, so wird sich das Kind festzubeißen versuchen, sie am besten ganz in sich aufnehmen wollen. Es versucht zu leugnen, dass es zu ahnen beginnt: Es gibt einen Unterschied zwischen Subjekt und Objekt. Die frühe, archaische Beziehungsform war bislang ja nur als „ineinander sein“ denkbar. Schließlich war der Säugling ja bis vor kurzem – nach seiner Erfahrung sein ganzes Leben lang - in der Mutter. Durch das Trinken an der Brust wird die Phantasie Realität, dass man sich das Objekt durch orale Einverleibung zumindest wieder aneignen kann. Es ist also kein Wunder, dass das Lust- und Befriedigungsempfinden sich auf Mund und Mundschleimhaut zentriert – und diese Phase in Freuds Triebmodell die „orale Phase“ heißt.
In dieser Zeit ist noch kaum ein Unterschied zwischen „körperlich“ und „seelisch“ auszumachen. Ebenso gibt es wenig Unterschied zwischen „libidinösen“ und „aggressiven“ Trieben, zwischen „Einverleiben“ und „zerstören“. Alles geht durcheinander, oder gleichzeitig - es herrscht am Anfang bekanntlich Chaos. In der kindlichen Psyche dieser Stufe stehen alle Gegensätze recht unbekümmert nebeneinander und stören sich nicht. Wir sind in der von Freud so genannten „primärprozesshaften“ Welt.
Nur ganz verschwommen am Horizont taucht für das Kind allmählich auf, dass es Widersprüche gibt und Ambivalenz. Der Keim dessen, was im Ödipuskomplex später voll aufblühen wird, ist jedoch schon hier gelegt: dass es nämlich doch ein Konflikt werden könnte, das Objekt gleichzeitig „haben und fressen“ zu wollen, also lieben und zerstören zu wollen. Der Säugling fühlt diesen Konflikt noch nicht, weil er es – wie wir annehmen - zunächst gar nicht so erlebt, dass die abwesende, also versagende Brust dieselbe ist, wie die anwesende, gute, nährende Brust.
In der darauf folgenden Phase, der „analen Phase“ macht das Kind eine hoch willkommene Entdeckung: Es gibt bestimmte Körpervorgänge, auf die es eben doch Einfluss nehmen kann. Es gibt doch Dinge, denen es nicht völlig hilflos ausgeliefert ist: Es merkt allmählich, dass es den Kot zurückhalten oder eben ausstoßen kann.
In einer Welt vollkommener Abhängigkeit, die ja auch enorme Angst machen kann, wird es zu einer erregenden, lustvollen und vor allem befreienden Entdeckung werden für die Auscheidungsvorgänge nicht auf die Anwesenheit des Objekts angewiesen zu sein: Das Kind kann sagen: „Guck mal, Mama, was ICH kann!!!“ Und da guckt die Mama, und staunt und klatscht und die Umwelt reagiert begeistert: „Sooo eine schöne Kotstange!“
Nun nimmt die magische Welt Fahrt auf: Wenn ich das kann, was kann ich dann noch? Kann ich dann alles, was ich will? Auch die Großen kontrollieren? (Besser bekannt als „Trotzphase“.) Wolfgang Loch schreibt dazu:
„Wo die Selbstüberschätzung nicht dem Selbst als Ganzes gilt, sondern einzelnen Organen und Funktionen, wird sie zur Magie. Besonders jenen Organen, die als erogene Zonen vermehrt libidobesetzt sind, misst das Kind magische Kräfte zu.“ (Loch 1967 (1999))
Der Kot, über den das Kind Kontrolle hat, wird magisch aufgeladen: Er kann giftig sein, sogar vernichtend - was so wirksam ist, dass wir noch als Erwachsene als Ausdruck vernichtender Aggression sagen: „Da scheiß ich drauf“. Aber er kann auch ein liebevolles „erstes Geschenk“ an die Mutter sein. Er ist eben – und das ist eine große Neuerung der analen Phase – er ist ambivalent besetzt.
Eine befreundete Psychiaterin berichtete von einer höchst abergläubigen – also magisch strukturierten - Patientin, die vom Lande kam. Die Patientin, die immer durch den Rosengarten der Kollegin zum Praxiseingang ging, stellte der Psychiaterin gelegentlich Pferdemist vor die Tür. Klar: wertvollster Dünger für die Rosen – in der Stadt nicht zu bekommen!
Ich – neu in der psychoanalytischen Ausbildung und stolz auf die neu entdeckten psychoanalytischen Augen, mit denen ich die Welt sah – reagierte aufgebracht: „Die stellt Dir Scheiße vor die Tür!! Du musst die Aggression deuten!!“ Aber es kommt tatsächlich deutlich die Ambivalenz zum Ausdruck, die der analen Phase eben angehört: Es ist Scheiße – und auch ein „erstes Geschenk“.
Aber nicht nur die Organe, auch die Allmacht der Gedanken ist magisch aufgeladen: Kinder haben in dieser Phase häufig Angst, mit sadistischen Phantasien und Gedanken real Schaden anzurichten. Es entsteht die Angst: „Wenn ich mir vorstelle, dass mein kleiner Bruder stirbt, dann passiert es - und ich bin schuld – weil ich es gedacht habe! Und dann rächt sich das!“ Es ist zunächst mehr die Angst vor magischer Rache als ein schlechtes Gewissen, die das Kind plagt.
Hier sei an die archaische Welt der Mythologie erinnert: Vor dem Erreichen des „Wissenschaftlichen Zeitalters“, also bevor die Möglichkeit der „Schuld“ etabliert war, gab es lediglich die Angst vor Rache der Objekte – nicht die Angst vor Schuldgefühlen.
Das Kind dieser Entwicklungsstufe ist also mit der Frage beschäftigt, welche Rache es zu erwarten hat, wenn es sich z.B. vorstellt, dass sein kleiner Bruder stirbt?
Noch eine bahnbrechende Entdeckung macht das Kind jetzt: Die anderen können meine Gedanken gar nicht sehen! Eine der wichtigsten Erfahrungen dieser Entwicklungsstufe ist das, was wir leider „Lügen“ nennen. Es ist die Erfahrung, dass ich eine Sache denken, aber eine andere Sache sagen kann – und die anderen merken das nicht! Damit ist ein enorm wichtiger Schritt zur Trennung von Subjekt und Objekt getan.
Erwachsene, die ihren Kindern diese Entdeckung nicht lassen können, sie also nicht „lügen“ lassen können, werden möglicherweise zu furchtbar verfolgenden Objekten. Weil sie immer wieder zu beweisen scheinen: Ich habe meine Gedankenwelt doch nicht für mich – die Mutter ist in meinem Kopf drin und sieht da alles! Es besteht die Gefahr die innere Welt des Kindes zu zerstören. Eine Mutter, die die „Lügen“ nicht zulassen kann, bleibt eine magische Gestalt: Sie scheint Gedanken lesen zu können.
Es ist eine Beobachtung aus meiner kinderanalytischen Praxis, dass dies tatsächlich in der Mutter-Kind-Beziehung anders aufgeladen ist als in der Vater-Kind-Beziehung. Ein Vater, der dem Kind die Lügen nicht lässt, scheint weniger magische Größe zu erlangen. Er scheint eher kontrollierend und provoziert Angst oder eben Opposition und Trotz. Die Mutter jedoch scheint mit derlei Verhalten eher die Phantasie einer magisch aufgeladenen Symbiose zu provozieren.
Mütter sind in dieser magischen Welt mit einem „magischen Phallus“ ausgestattet, der zaubern kann. Sie sind also auf magische Weise mächtig. Hier kann man wieder an die Titanen und an Gaia denken, die ihr magisches Stahlschwert aus ihrem Inneren zaubert.
Kinder in dieser Phase wechseln unbekümmert von der Realität in die Phantasie, die noch fast identische Befriedigung bieten kann: Ein kleines Mädchen, das ich Paula nennen möchte, spielte in dieser Zeit besonders gerne ein Spiel mit mir, indem ich Wünsche äußern sollte. Dann strahlte sie, reichte mir ihre leere Hand in der Erwartung mich überglücklich zu machen und rief strahlend: „Da hast Du es!“ Auf Enttäuschungen folgt oft der Satz: „Na und – wenn´s nicht geht, dann spielen wir es eben!“
Erwachsene werden als ausnehmend begriffsstutzig wahrgenommen, wenn sie ständig engstirnig mit der Realität kommen.
Es ist aber auch eine Zeit harter Enttäuschungen, die gemeistert werden wollen – die, wenn die Realität akzeptiert werden kann, aber auch Entwicklung möglich macht.
Beispiel: Die eben erwähnte Paula, ein gut dreijähriges Mädchen, entschied, dass sie weit weg fliegen würde, und zwar zur Oma, die in einem fernen Land wohnte. Sie machte sich hübsch, Zöpfchen und Sonntagsröckchen für die Oma, Gummistiefelchen, falls es unterwegs regnen sollte, Engelflügel von Fastnacht, mit denen sie fliegen würde. Und der Teddy unterm Arm. Mit dieser Ausrüstung stellte sie sich mitten auf die Straße und stellte sich beglückt vor, wie sie über ihren langweiligen Kindergarten fliegen würde, wo all die anderen Kinder langweilige normale Sachen spielen würden. Nur sie nicht, denn sie fliegt zu Oma.
Nachdem sie eine Weile mit geschlossenen Augen auf der Straße gestanden hatte (zum Glück eine kleine Spielstraße ohne viel Verkehr) geriet sie in große Verzweiflung. Sie war der festen Überzeugung gewesen, dass es kraft ihrer Gedanken gelingen würde zu fliegen. Der Misserfolg war niederschmetternd und schien alle Errungenschaften und alle schon erreichten Fähigkeiten wieder in Frage zu stellen.
Als ich vorsichtig – und wie ich dachte: ganz empathisch - versuchte mit ihr darüber zu sprechen, wie doof es sei, dass es nicht ging, wurde ich wütend attackiert. Nach Überwindung der ersten katastrophalen Enttäuschung, gelang es, dass sie sich an einen Tisch setzte und mit holprigen ersten Buchstaben einen Brief an Oma verfasste, der einen großen Entwicklungsschritt beschreibt:
LIEBE OMA! ISWOLTEALLEITSODIRFLIGEN. ESABNISDEKLAPT.
Und dann der Entwicklungsschritt: ISWIL-AIN-TIKET!!
Wenn die hier anklingende ödipale Welt der Gesetze nicht ertragen wird, d.h., wenn es zu Fixierungen in dieser Phase kommt, wenn Paula zum Beispiel nicht ertragen hätte, dass man zum Fliegen ein Ticket braucht: Dann könnte es so kommen, wie in den USA, wo jemand „Red Bull“ verklagte, weil er Gallonen davon getrunken hatte und ihm keine Flügel gewachsen waren...
Das hat Schiller in seinem Brief an Goethe so präzise beschrieben:„...Ödipus ist seine eigene Gattung und es giebt keine zweite Spezies... am allerwenigsten würde man aus weniger fabelhaften Zeiten ein Gegenstück dazu auffinden können. Und wollte man das Wesentliche der Fabel selbst, bei veränderten Personen und Zeiten, beibehalten, so würde lächerlich werden, was jetzt fruchtbar ist.“
Also: Was für ein Kind fruchtbar ist – nämlich die entwicklungsfördernde Auseinandersetzung mit einer magischen Welt – wird zu anderen Zeiten, also im Erwachsenenleben, eher als lächerlich wahrgenommen.
Zurück zum Kind: In diese Welt hinein – und sie ist der mythologischen Welt in vielem sehr ähnlich – in diese Welt hinein also etabliert sich eine neue Situation:
Das Kind beginnt sich für die Beziehung der Eltern auf andere als bisher Weise zu interessieren: Was verbindet die Eltern, was ist anders zwischen denen - und wenn ich doch alles kann, was ich mir wünsche, kann ich das, was die verbindet, auch? Mit Mami und/ oder Papi so umgehen, die so befriedigen wie die es tun? Den Eltern also sein, was die sich gegenseitig sind?
In der noch magisch aufgeladenen Welt beginnt sich die Libido-Organisation zu verschieben in die von Freud so genannte „phallische Phase“. Freud wurde für diesen Ausdruck oft kritisiert. Seine Kritiker sahen in diesem Begriff einen Hinweis darauf, dass Freud keine angemessene Vorstellung von der weiblichen Sexualität habe. Für ihn war die weibliche Entwicklung zentriert um die Penislosigkeit.
Wolfgang Loch schreibt: „Da sich die Libido auf dieser Stufe ganz auf die Genitalorgane konzentriert, werden auch die Objekte erstmals eindeutig in ihrer genitalen Beschaffenheit begehrt.“ (Loch 1967 (1999))
Ich kann dem zwar folgen, würde den Akzent jedoch genau umgekehrt setzen und sagen: Da der Andere nun klarer als je zuvor als Anderer wahrgenommen wird - und auch als solcher – also als Anderer - begehrt wird, werden alle Unterschiede und alle Unterschiedlichkeit interessant und hoch besetzt. Und so bekommen die Geschlechtsunterschiede und Geschlechtsorgane eine auf neue Art faszinierende Bedeutung. Das „Anders-Sein“ als neue Form von „Ich-Sein“ und als neue Beziehungsmöglichkeit, und damit natürlich auch Neugierde und Wisstrieb, werden libidinös hoch besetzt.
Wenn Kinder sich in dieser Phase unsicher fühlen, geht die Hand oft zu den Genitalien, wie zur Beruhigung: „Da bin ich“. W. Loch weiter: „Die zuvor noch verschwommene Ambivalenz wird nun deutlicher: „Wenn ich so groß bin wie der Papa und der Papa nicht mehr lebt, dann heirate ich die Mama.“
Die Magie der analen Phase muss nun allmählich der Welt der Gesetze und einer ödipalen Ordnung weichen.
Freud
Bevor Freud diese Theorien entwickelte, ging er davon aus, dass seine hysterischen Patientinnen unter einem tatsächlich erlebten Missbrauchstrauma litten. Die Kur bestand für ihn und für Breuer darin, dass die Patientinnen das Trauma erinnern und darüber sprechen konnten. Es ging ihm also um das Bewusstmachen eines realen Ereignisses.
Im September 1897 schreibt er in seinem berühmten Brief an Fliess: „Ich glaube meinen Neurotica nicht mehr recht.“ Damit war der Startschuss gegeben für die Entwicklung der Theorie des Ödipus-Komplexes. Freud hatte verstanden, dass es nicht unbedingt reale Ereignisse, sondern konflikthafte Wünsche und Phantasien sind, die verdrängt werden müssen und – wenn sie in der Verdrängung keine Ruhe geben- in der Folge neurotische Symptome produzieren können.
Einen Monat nach dem oben zitierten berühmten Widerrufsbrief, am 15.Oktober 1897, postuliert Freud, wieder in einem Brief an Fliess, erstmals seine Thesen zum Ödipus-Komplex. Er schreibt dies im Zusammenhang mit seiner „Selbstanalyse“, der er sich unterzog.
„Ich habe die Verliebtheit in die Mutter und die Eifersucht gegen den Vater auch bei mir gefunden und halte sie jetzt für ein allgemeines Ereignis früher Kindheit.(...) Wenn das so ist, so versteht man die packende Macht des König Ödipus“. (Freud 1897)
Ein „vollständiger Ödipuskomplex“, wie Freud ihn nun nennt, ist ein negativer und positiver. Als negativen Ödipus bezeichnete Freud die homoerotische Einstellung zum gleichgeschlechtlichen Elternteil. Das Mädchen begehrt natürlich auch die Mutter, mit deren Weiblichkeit es sich gerne identifiziert, und es wird den Vater als Konkurrenten erleben – und als einen, der der Mutter etwas zu bieten hat, dass das Mädchen nie wird bieten können.
Ein rein positiver Ödipus wäre ja auch gar kein Komplex: Nur die Mutter heiraten und den Vater umbringen zu wollen wäre ja kein innerer Konflikt, sondern höchstens ein Konflikt mit dem Gesetz. Den psychischen Konflikt gibt es nur durch den vollständigen Ödipus, wenn es ja der geliebte, begehrte Vater ist, der zum Rivalen wird und umgekehrt.
Der Ödipuskomplex ist nicht zu lösen. Es wird klar, dass das, was in der oralen Phase so schön gleichzeitig zu gehen schien, nicht geht: Man kann den Vater nicht aus dem Weg räumen und ihn trotzdem liebend behalten. Auch die magischen Vorstellungen der analen Zeit, mit denen man sich über alle Konflikte erhebt, erweisen sich – zumindest bei unneurotischem Verlauf - als nicht dauerhaft haltbar.
Da der Komplex nicht zu lösen ist, kann er nur „untergehen“. Freud beruft sich hier auf die Kastrationsdrohung, die zu seiner Zeit sicherlich häufig explizit ausgesprochen wurde: „Wenn Du das und das machst, kommt der Doktor und schneidet Dir den Schniedel ab.“ Heute würden wir eher sagen: Um der Gesetze und um der Liebe zu beiden Eltern Willen muss der Ödipuskomplex verdrängt werden.
„Untergehen“ heißt also, dass der Konflikt unbewusst wird. Aber er wird bei unneurotischem Verlauf nicht nur verdrängt. Die Energie und Besetzung der Vater- und Mutterrepräsentanzen wird umgeleitet, d.h. sublimiert. Sie wird verwendet zur Bildung einer inneren Struktur mit einem Über-Ich, das die Triebenergie nutzt um zu schützen und eine sinnvolle Beziehung zur Außenwelt zu ermöglichen.
Melanie Klein
Als eine der wichtigsten Theoretikerinnen nach Freud beschäftigt sich eine Generation später Melanie Klein in London mit der Frage des Ödipuskomplexes. Melanie Klein folgt Freud im Wesentlichen in seiner Beschreibung der infantilen Sexualität, sieht jedoch Prototypen der späteren Beziehungsformen von Anfang an. Sie vertritt die Ansicht, dass schon der Säugling, noch lange bevor er Andere als „ganze Objekte“ wahrnehmen kann, eine Ahnung davon hat, dass es väterliche und mütterliche Teil-Objekte gibt. Sie spricht nicht von einer „ödipalen Phase“, sondern von einer „ödipalen Situation“, mit der das Kind fast von Anfang an konfrontiert ist. Sie spricht von Teilobjekten, einer „guten“, weil anwesenden und befriedigenden Brust und einer „bösen“, weil versagenden Brust. Die abwesende Brust wird nicht als abwesend, sondern als da und angreifend, verfolgend phantasiert.
Dies ist ein wichtiger und sehr einleuchtender Gedanke, denn es stimmt ja: Die „abwesende Brust“ macht ja ein anwesendes Unbehagen, das sich anfühlen mag wie ein wie Ungeheuer im Bauch. Die fehlende Umarmung oder Decke macht, dass das Kind friert, es wird als positiv anwesendes Ungemach erlebt, und zunächst eben nicht als Mangel. Woher soll das Kind auch wissen, dass da etwas „nicht da“ ist, wenn die Kälte ein anwesendes schlechtes Hautgefühl macht.
Es ist wie in den Mythen beschrieben: Der Entstehung der Liebesgöttin Aphrodite ging ein gewaltsamer, hasserfüllter Akt der Kastration von Uranus voraus. Auch in der kindlichen Entwicklung muss die Vorstellung eines bösen anwesenden Objektes überwunden werden, bevor sich etwas wie ein reiferes Gefühl von Liebe zum Objekt entwickeln kann.
Das Kind – so Melanie Klein - projiziert seinen Hass auf die böse Brust, von deren Rache es sich daraufhin verfolgt fühlt. Es hat eine Ahnung von einem väterlichen Objekt, das in guten Momenten zwar beruhigend wirkt, in angstvollen Momenten aber die Mutter zu vereinnahmen scheint. Die Phantasien sind „oral“ gefärbt, der Entwicklung des Kindes entsprechend. So gibt es nur Objektbeziehungen, in denen der eine „im“ anderen ist. Die Brust wird verschlungen, die Eltern phantasiert als im ewigen Koitus vereint .
Auch hier liegt der Hinweis auf die Mythen nahe: Uranus, der mit seinem Riesenpenis die Mutter Gaia zu besitzen scheint und mit der permanenten Penetration die Kinder bedroht.
Erst später werden die Eltern als ganze Objekte wahrgenommen und ihre Beziehung wird allmählich besser ertragen.
Melanie Klein spricht nicht – wie Freud - von Entwicklungs-Phasen, die durchlaufen werden und dann auch ausgestanden sind, sondern sie spricht von Positionen, die – bis ins Erwachsenenalter - immer wieder neu errungen werden müssen. Sie spricht von einer „paranoid-schizoiden Position“, in der die verfolgenden Objekte toben, und von einer „depressiven Position“, in der das Kind beginnt, die Realität und auch die Beziehung der Eltern zueinander anzuerkennen, ohne sich davon bedroht zu fühlen. Es muss dafür die Phantasie einer symbiotischen Oase mit einer idealen Brust (Mutter) aufgeben. Um diese so genannte „depressive Position“ wird immer wieder gerungen, sie geht immer wieder verloren und muss neu erarbeitet werden. Melanie Klein schreibt: „Das Kind lernt schon in sehr frühem Alter die Realität durch die Versagungen kennen, die sie ihm auferlegt. Es erwehrt sich der Realität, indem es sie ablehnt. Grundlegend aber und der Prüfstein für alle fernere Anpassungsfähigkeit an die Realität ist die größere oder geringere Fähigkeit, die aus der Ödipussituation resultierenden Versagungen zu ertragen (Klein (1926) 1995, S. 197). Das Erreichen der depressiven Position ist bei Klein also direkt mit der von ihr postulierten frühen Ödipus-Situation verbunden.
Auch wenn die Eltern in der ersten Zeit nicht als ganze Objekte, sondern als Teilobjekte wahrgenommen werden, so entsteht, wie gesagt, bereits zu dieser Zeit eine Phantasie auch über deren Verbindung miteinander. Daher sind also ödipale Elemente schon in der Säuglingszeit ein wesentlicher Teil im Erleben des Kindes. Auch ein archaisches, zu Beginn überwiegend verfolgend erlebtes Über-Ich postuliert Melanie Klein bereits im Säuglingsalter. Das heißt, anders als bei Freud, gibt es rudimentäre Elemente, die später zu Gesetzen und einem sinnvollen, hilfreichen Über-Ich werden können, von Beginn an.
Britton
Eine besonders wichtige Konzeption des Ödipalen, dem die meisten Analytiker weltweit große Bedeutung beimessen, ist die von Ronald Britton, der der post-kleinianischen Schule angehört. In seiner berühmten Arbeit von 1989 mit dem Titel „Die fehlende Verbindung: die Sexualität der Eltern im Ödipuskomplex“ spricht er von dem wichtigen Entwicklungsschritt der „Triangulierung“.
„Neugierde deckt die Existenz der ödipalen Situation auf“, so schreibt er, „und stellt das Gut-Sein der Mutter (i S.v. „nur für mich Dasein“ der Mutter – Anmerkung KWM) in Frage. Jede Erweiterung des Wissens über die Mutter wird dann möglicherweise als Bedrohung erlebt und daher gemieden. Die feindselige Macht, die die Beziehung zur Mutter bedroht, wird mit dem ödipalen Vater gleichgesetzt. Die Verbindung der Eltern wird so empfunden, als lasse sie die Mutter in Gestalt jener unzugänglichen, vernichtenden Mutter wieder aufleben.“ (Britton 1989) Das heißt, Britton sagt, das Bild der Mutter erscheint an der Stelle brüchig, wo es von der Existenz des Vaters „befleckt“ ist.
Könnte es sein, dass Britton hier einen unbewußten Vorgang beschreibt, der ebenfalls in einer konservativen Vorstellung wirksam ist, nämlich dass die Frau durch Untreue „befleckt,“ werde?
Es ist bei Britton also der Treuebruch mit dem Vater, der der Mutter nicht verziehen wird. Es ist wie im Ödipusmythos: Als die wahren Verhältnisse ans Licht kommen, scheint die größte Katastrophe für Ödipus zu sein, dass das Bild der Jokaste befleckt ist. Wie berichtet ist seine erste Reaktion die wütende Verfolgung von Jokaste.
Britton schreibt: „Im primären familiären Dreieck kann das Kind zwei getrennte Beziehungen zu je einem Elternteil aufnehmen, während es zugleich mit der Verbindung zwischen den Eltern, von der es selbst ausgeschlossen bleibt, konfrontiert ist. (...)
Wenn das Kind die Verbindung zwischen den Eltern unter der Vorherrschaft der Liebe wahrnimmt und seinen Hass zu tolerieren vermag, wird ihm mit dieser Beziehung der Prototyp einer dritten Form von Objektbeziehungen vermittelt, in denen es selbst Beobachter und nicht Teilnehmer ist. Auf diese Weise entsteht eine dritte Position, von der aus Objektbeziehungen beobachtet werden können. Unter dieser Voraussetzung können wir uns auch vorstellen, beobachtet zu werden. “ (Britton 1989, S. 99)
Brittons beschreibt damit, dass die Fähigkeit, eine andere Beziehung zu beobachten die Voraussetzung dafür ist, über sich selbst nachdenken zu können. Ohne die Entwicklung dieser „Fähigkeit zur Triangulierung“ gibt es also keine Selbstreflexion. Britton unterscheidet demnach zwischen einer „ödipalen Position“ einerseits, in der über das ödipale Dreieck nachgedacht werden kann, und einer „ödipalen Illusion“ andererseits, in der das ödipale Dreieck nicht denkbar und nicht zu ertragen ist.
Britton beschreibt weiter anhand eines klinischen Beispiels, wie auch die Innenwelt des Analytikers als bedrohliches, ausschießendes ödipales Paar wahrgenommen werden kann. Er beschreibt eine Patientin, die es nicht ertragen konnte, wenn Britton in Denkpausen mit sich zurate ging, also mit seinen eigenen Gedanken zugange war – was natürlich die Voraussetzung einer jeden fruchtbaren Deutung ist. Die Patientin erlebte sein Denken so vernichtend wie „im ständigen Koitus verklebte Eltern“. Sie schrie in die Pausen hinein: „stop your fucking thinking!“
Er sah in dieser Formulierung die Angst der Patientin vor dem vereinten und daher vernichtenden Eltern- Konglomerat.
Britton beendet seine Überlegungen so: „In der phantasierten tragischen Version des Ödipuskomplexes wird die Entdeckung des ödipalen Dreiecks als Tod des Paares erlebt: des Stillpaares oder des Elternpaares. In dieser Phantasie ist die Wahrnehmung eines Dritten gleichbedeutend mit der Vernichtung der dyadischen Beziehung.
Wir alle geben uns vielleicht bisweilen dieser Vorstellung hin; bei manchen Menschen scheint sie als Überzeugung fortzubestehen. In diesem Fall wird sie zur Quelle einer schweren Pathologie. Die Trauer um jene verlorene exklusive Beziehung jedoch ermöglicht es zu erkennen, dass das ödipale Dreieck nicht den Tod einer Beziehung bedeutet, sondern nur den Tod einer Vorstellung von Beziehung“ (ebd. S. 113f), oder anders den Tod einer Illusion von Beziehung
In einer anderen Arbeit führt Britton aus, dass die Fähigkeit zur Triangulierung auch die Bedingung dafür ist, sich verstanden zu fühlen bzw. Verständnis zu erwarten. „Das Bedürfnis nach Übereinstimmung verhält sich umgekehrt proportional zur Erwartung von Verständnis.“ Wo ich also kein Verständnis erwarte, bin ich auf völlige Übereinstimmung angewiesen.
Janine Chasseguet-Smirgel
beschäftigt sich mit dem Ödipuskomplex in Verbindung mit Narzissmus. (Chasseguet-Smirgel 1981)Sie unterscheidet zwischen der Bildung eines Über-Ich und eines Ich-Ideals. Freud verwendet beide Begriffe, wobei er das Ich-Ideal, also eine Idealvorstellung von sich selbst, als Erben des Narzissmus, das Über-Ich aber als Erben des Ödipus-Komplexes definiert. Hier setzt Chasseguet-Smirgel an. Für sie ist der Ödipus-Konflikt eine Neuauflage des früheren präödipalen Konflikts zwischen der Ablösung von der Mutter und der Wiedervereinigung mit ihr. Die primäre Strebung nach Fusion mit der Mutter wird hier als narzisstische Strebung verstanden.
Wir versuchen uns die Erlebnisse des Säuglings in der neuen Welt nach der Geburt vorzustellen: Wenn alles so dramatisch anders ist, ist der Wunsch, zurückzukehren in die Ruhe und vertraute Umgebung des Mutterbauchs nur all zu verständlich.
Die Erfüllung des Inzestwunsches wird in diesem Sinne als Rückkehr zu einem „narzisstischen Einssein“ mit der primären Mutter beschrieben, was jedoch den Verlust des unabhängigen Selbst und damit den psychischen Tod bedeuten würde. Hier erscheint der Vater als Rettung und als Hilfe. Mit ihm kann der Weg in die Welt hinaus gefunden werden. Der Vater zeigt also in gewisser Weise in die Freiheit und die Unabhängigkeit von der Mutter.
Da hier eine Vertreterin der französischen psychoanalytischen Schule genannt wurde, möchte ich einen kurzen Exkurs in die Rezeption des Ödipus-Mythos in Frankreich einfügen:
Die von der französischen Revolution begeisterten deutschen Romantiker, vor allem der Goethe-Schützling Schelling, deuten den Ödipus-Mythos auf ähnliche Weise.
Schelling stellt die Frage, wie es kommt, dass Ödipus, der von dem Orakelspruch ja weiß, sich trotzdem mit allen Mitteln dagegen stemmt. Obwohl doch von Anfang an auch Ödipus klar sein muss, dass man als Einzelkämpfer gegen ein göttliches Orakel keine Chance hat.
Schelling beantwortet diese Frage im Geiste der französischen Revolution: Es sei die Ehre, dass die Freiheit den Kampf gegen das Schicksal trotzdem kämpft, obwohl sie unweigerlich verlieren muss. Das „trotzdem Kämpfen“ sei der Beweis der Freiheit.
Sie sehen, Schelling stellt auch eher eine Frage der Freiheit und Selbstverwirklichung und ist viel weniger beschäftigt mit der Schuldfrage, die für Sophokles so entscheidend ist.
Es gab in Frankreich eine weitere Fassung des Ödipus-Mythos, die bedeutsam ist, nämlich die des Voltaire-Zeitgenossen Corneille. Corneille kümmert sich ebenfalls wenig um die Schuldfrage, vielmehr fand er, dass dem französischen Volk eine Tragödie ohne vernünftige Liebesgeschichte nicht zumutbar sei. Er erfindet eine Schwester von Ödipus, und Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte wird der Heiratswunsch der Schwester mit einem anderen König. Ödipus widersetzt sich diesem Wunsch, weil er um seine Macht fürchtet.
Der Mord am Vater passiert dort eher beiläufig, Jokaste ist sogar anwesend an jener Wegkreuzung, weiß also genau, wer der Mörder war, den sie dann heiratet, so dass es gar kein dramatisches Rätsel aufzuklären gibt.
Es mag sein – auch wenn dies nun etwas pauschal und holzschnittartig ist - , dass es auch unter den Psychoanalytikern die französische Schule ist, die mutiger auf die Lust an der Entwicklung von Freiheit und Selbstbestimmung hinweist, während die zuvor zitierte Schule um Melanie Klein in London sich eher mit der Qual der Ablösung und der schmerzhaften Anerkennung von Getrennt-Sein beschäftigt, ja, diese Anerkennung sogar als Teil einer „depressiven“ Position beschreibt.
In ihrem Buch „Fesseln der Liebe“ kritisiert die amerikanische Psychoanalytikerin Jessica Benjamin, „dass bei Chasseguet-Smirgel diese Konfrontation mit der Realität auf der Verkörperung des Unterschieds und des Realitätsprinzips durch den Vater basiert. Die Mutter spielt hier offenbar gar keine Rolle beim Hinführen des Kindes an die Realität. In diesem polarisierten Schema übt die Mutter einen magnetischen Sog zur Regression aus, und der Vater bewahrt das Kind vor diesem Sog.“ (Benjamin, (1988) 1993(Chasseguet-Smirgel 1981)) Sie betont den Umstand, dass es vielmehr die Aggression des Vaters ist, der den Sohn aus dem Weg schaffen will (denken Sie an Uranus, der die Kinder zurückstößt, an Laios, den Kindesmissbraucher, der später seinen Sohn aussetzt). Die Potenz der Mutter, in die Welt und in die Freiheit hinaus zu weisen, würde bei Chasseguet-Smirgel ebenso unterschätzt wie die Aggression des Vaters.
Zusammenfassung
Es wurde ein Bogen geschlagen von Freuds Konzepten der Triebtheorie und der infantilen Sexualität, die er anhand des Ödipus-Komplexes entwickelt hat und der seiner Meinung nach hauptsächlich an einer Kastrationsdrohung untergehen muss.
Dann die Weiterentwicklung von Melanie Klein, die den Ödipuskomplex als „ödipale Situation“ in das erste Lebensjahr vorverlegt und ihn im Lichte der frühen Ängste und der frühen Objektbeziehungen untersucht.
Britton betont die Entwicklung der Triangulierung, die das erleben des ödipale Dreiecks ermöglicht, als Voraussetzung für Beziehungsfähigkeit, und vor allem auch für die Fähigkeit sich selbst zu reflektieren.
Janine Chasseguet-Smirgel sieht den Ödipuskomplex unter dem Aspekt der narzisstischen Symbiose mit der Mutter einerseits und dem in die Freiheit weisenden Vater andererseits, was Jessica Benjamin kritisiert als Abwertung von Weiblichkeit, Unterschiedlichkeit und letztlich erotischer Spannung.
Literatur
Benjamin, Jessica: Die Fesseln der Liebe. Fischer Verlag 1988 (1993), S. 147
Britton, Ronald: Die fehlende Verbindung: Die Sexualität der Eltern im Ödipuskomplex. In: Der Ödipuskomplex in der Schule Melanie Kleins. Klett Cotta 1998
Bürgin, Dieter: Vortrag von 29.11.2014 vor der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung
Chasseguet-Smirgel, Janine. Das Ich-Ideal. Frankfurt/M. 1981
Freud, Sigmund: Hemmung, Symptom und Angst. (1926) GW 14, S. 186
Freud, Sigmund: Briefe an Wilhelm Fließ 1887-1904. Fischer Verlag (1999)
Klein, Melanie: Die psychologischen Grundlagen der Frühanalyse. Imago 12:365-376; auch in: dies., Gesammelte Schriften. Bd. I,1. Stuttgart (Frommann-Holzboog) 1995
Loch, Wolfgang: Die Krankheitslehre der Psychoanalyse. Hirzel Verlag Stuttgart 1967 (1999)
Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, Insel Verlag 1955 in drei Bänden
Wochenzeitschrift die “Zeit”: Ausgabe von 9.10.2014