Im Zuge der Legalisierungsbemühungen wird Cannabis zunehmend als „hedonistische Freizeitdroge“ aufgefasst. Angesichts vieler zufriedener Konsumenten wird die Gefährlichkeit dieses Rauchmittels bezweifelt. Die öffentlichen Äußerungen von Persönlichkeiten, die Cannabis ohne Schaden konsumierten, führen jedoch zu einer systematischen Wirklichkeitsverzerrung. Der geglückte, aber meist sporadische Probierkonsum überschattet die unglücklichen Verläufe regelmäßigen Konsums. Diese umfassen Angst- und depressive Erkrankungen, Psychosen, Suizide und tödliche Verkehrsunfälle. Die Betroffenen wollen und können sich zumeist nicht öffentlich äußern. Auch ihre Freunde und Familienangehörigen sind oft in Schuld- und Schamgefühle verstrickt, die publikumswirksame Berichte verhindern. Deswegen ist es notwendig, die Risiken des nichtmedizinischen Gebrauchs aufzuzeigen. Dies gebietet auch die Fairness gegenüber den Opfern. Es soll in diesem Beitrag hauptsächlich um die Risiken des nichtmedizinischen Gebrauchs gehen und nicht um die Legalisierung von Cannabis. Diese ist ein komplexer politischer und juristischer Aushandlungsprozess, den Ärzte, Psychotherapeuten und Berater nicht entscheiden können. Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse sollten aber auch nicht ignoriert werden.
Unmittelbar nach meinem Artikel „Kiffen vergiftet die kreativsten Köpfe“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. Juli 2015 schreibt mir ein Vater, dass er jetzt den Mut habe, sich seinem Schicksal zu stellen. Beide Kinder nahmen sich nach ihrem in der Pubertät begonnenen Cannabiskonsum mit Mitte Zwanzig das Leben. Von mehreren Psychiatern und Psychotherapeuten wurde keine andere Ursache als Cannabismissbrauch gefunden. Eine Mutter, die wegen ihrer exponierten beruflichen Position nicht genannt werden will, teilte Folgendes telefonisch mit: Ihr Sohn veränderte sich zwischen dem 12. und dem 13. Lebensjahr. Er konnte sich in der Schule nicht mehr konzentrieren, zog sich von seinen Freunden zurück und wurde depressiv. Erst nach mehreren Jahren fanden die Eltern heraus, dass der Großvater, der Marihuana anbaute, heimlich an fast jedem Wochenende mit dem Enkel kiffte. Studierende erzählen, dass einige ihrer Freunde und Bekannten wegen Cannabis ihre Schule oder Studium nicht geschafft haben.
Natürlich haben mich auch Kommentare erreicht, die das Problem nicht so dramatisch sehen. Ein junger Mann meinte, dass ich in meinem Alter wohl wenig Ahnung von der Sache habe. Er lud mich auf sein Hausboot ein, wo ich mich persönlich von den wohltuenden Wirkungen von Cannabis überzeugen sollte. Da ich selbst in einer cannabistoleranten Zeit in den frühen siebziger Jahren studiert habe und anschließend nach dem Studium der Medizin und Philosophie seit 1978 professionell mit dem Thema kontinuierlich befasst war, lehnte ich die Einladung dankend ab. Aufgrund langer praktischer Erfahrungen und derzeit verfügbarer wissenschaftlicher Daten erlaube ich mir folgende Zusammenfassung:
Bei regelmäßigem Gebrauch von THC, etwa einmal wöchentlich oder häufiger, führt Cannabis besonders bei Jugendlichen zu Einbußen von Interessen und Energien. Es wird eine problematische Entspannung erzeugt, die das psychosoziale Veränderungspotential mindert. Besonders in der Adoleszenz, in der so wichtige Entwicklungsprozesse zu gestalten sind, wird das kreative Entwicklungspotential gedämpft. Dieses „Amotivationale Syndrom“, das Cannabis-Konsumenten oder ihre Freundinnen und Freunde immer wieder beschreiben, wird jedoch öffentlich verharmlost oder gänzlich bezweifelt. Beispielhaft ist die sehr professionell erscheinende Website des Deutschen Hanfverbands (DHV). Die Vorzüge von Cannabis werden ohne jegliche Belege hervorgehoben, die Schäden unter Berufung auf nicht gesicherte wissenschaftliche Befunde bezweifelt. So heißt es in Bezug auf das Amotivationale Syndrom: „Vielmehr müssen Eigenschaften der Person, die unabhängig vom Cannabiskonsum vorhanden sind, zur Erklärung eines demotivierten Gemütszustands herangezogen werden“ (Deutscher Hanfverband 2015, S. 3). In Bezug auf Angsterkrankungen und manisch-depressive Störungen Finden sich beim DHV folgende Aussagen: „So geht man davon aus, dass psychische Probleme wie beispielsweise Depressionen das Risiko erhöhen, Cannabis im Sinne einer ‚Selbstmedikation‘ zu missbrauchen“ (a.a.O. S. 4). Von den unmittelbaren Risiken „sind vor allem Konsumenten betroffen, die mit der Wirkung von Cannabis noch nicht vertraut sind“ (a.a.O. S. 2). Das ist eine kühne Umkehrung der Realität. Wissenschaftliche Studien (z.B. Volkow et al 2014, Hoch et al. 2015) zeigen, dass bei einem wöchentlichen Cannabiskonsum bis zum 29. Lebensjahr das Risiko für Angsterkrankungen signifikant erhöht ist. Bei Cannabisabhängigen ergibt sich ein 2,5, bis 6-fach erhöhtes Risiko für Angststörungen. Behandlungsbedürftige bipolare Störungen, d.h. Depressionen mit manischen Phasen im Wechsel, sind doppelt so häufig bei Cannabismissbrauch. Bei allen diesen Störungen und bei daraus resultierenden Selbsttötungen existiert eine große Dunkelziffer in Bezug auf ursächlichen Cannabismissbrauch. Auffallend ist, dass auf der Seite des DHV unter den Folgen von Cannabiskonsum Suizide und Verkehrsunfälle überhaupt nicht erwähnt werden.
Entgegen den wissenschaftlichen Befunden, die zum Beispiel den Metaanalysen und Übersichtsartikeln im New England Journal of Medicine (Volkow et al. 2014) und dem Deutschen Ärzteblatt (Hoch et al. 2015)2015) zu entnehmen sind, finden sich weitere tendenziöse Verharmlosungen auf der häufig aufgerufenen Website des DHV: "Nach heutigem Kenntnisstand werden jedoch keine bleibende Hirnschäden verursacht" und „dass gravierende Hirnschäden, wie sie bei Alkohol bekannt sind, nicht verursacht werden“. Richtig ist, dass bleibende Schädigungen des Gehirns mit messbaren Volumenminderungen der Amygdala-Kerne, des Hippocampus und der axonalen Faserbahnen nachgewiesen sind (Volkow et al. 2014, Hoch et al. 2015) . Diese gehen mit Störungen der Emotionsregulation, des Gedächtnisses und des kombinatorischen Denkens einher.
Auch dass sich das Psychoserisiko bei Jugendlichen mit regelmäßigem Gebrauch verdoppelt, bezweifelt der DHV: "Verbreitet ist die Annahme, dass Cannabis Psychosen auslösen kann. Die Forschung ist hierzu allerdings nicht eindeutig." Die Forschung und die klinische Erfahrung sind in diesem Punkt allerdings sehr eindeutig. Unsicherheit herrscht nur in Bezug auf das Ausmaß der Risikoerhöhung. Auch hier besteht aus naheliegenden Gründen eine hohe Dunkelziffer. Viele Patienten verschweigen auch ihren Ärzten ihren Cannabis-Gebrauch.
Beispielhaft ist die gesamte Argumentationsstrategie der Cannabis-Apologeten des DHV. Wenn es um positive Wirkungen geht, werden keinerlei wissenschaftliche Studien erwähnt. Es wird ohne Begründung und ohne jede Quantifizierung behauptet, dass unter Cannabiseinfluss „neuartige Ideen und Einsichten“ aufträten und dass „das Gemeinschaftserleben unter Freunden intensiviert“ werde. Wenn es aber um negative Folgen wie das erhöhte Krebsrisiko geht wird darauf verwiesen, dass dies „nicht zweifelsfrei nachgewiesen wurde“. Auch die Auswirkungen von Cannabis auf Schwangerschaft und Neugeborene seien „umstritten“. Durch Cannabis bedingte kardiale und zerebrale Ischämien, d.h. Herzinfarkte und Schlaganfälle, die zum Tod führten, werden wiederum auf der DHV-Seite gar nicht erwähnt.
Volkow et al. (2014) stellten in ihrer Übersicht der wissenschaftlichen Befunde fest, dass sich sogar ein Abfall des Intelligenz-Quotienten bei regelmäßigem Cannabiskonsum objektivieren ließ. Für anspruchsvolle Berufe ist noch wichtiger, dass die neuronale Konnektivität, die eine Voraussetzung des kombinatorischen Denkens ist, durch Cannabis beeinträchtigt wird. Dies widerlegt die große Illusion, dass die durch Cannabis induzierte assoziative Lockerung kreative Prozesse begünstigen könne. Die Störungen von Hirnfunktionen und Hirnstrukturen sind bei frühzeitigem, längerem und hochdosiertem Gebrauch oft dauerhaft. Es wurde auch nachgewiesen, dass chronischer Marihuana-Gebrauch mit geringerem Einkommen, Arbeitslosigkeit, sozialer Hilfsbedürftigkeit, kriminellem Verhalten und geringerer Lebenszufriedenheit assoziiert ist.
Nach Auskunft der Drogenbeauftragten der Bundesregierung erfasste man 2013 in Deutschland 2,4 Mio regelmäßige Cannabiskonsumenten. 380.000 betrieben missbräuchlichen Gebrauch, d.h. der Konsum führte zu körperlichen und/oder psychischen Schäden. Bei 220.000 soll eine Abhängigkeitserkrankung vorliegen. Von den genannten 500.000 Konsumenten ist schätzungsweise mindestens ein Drittel schwer oder sehr schwer beeinträchtigt, d.h. 160.000 bis 170.000 Personen.
In dem FAZ-Artikel vom 1. Juli 2015 habe ich einen Kunststudenten beschrieben, der mich vor einigen Jahren aufsuchte, weil er seine Einfälle nicht umsetzen konnte. Er hatte einige Schriften von mir über Kreativität gelesen und meinte, ich könne ihm ein paar Tipps geben. Nach guten Schulleistungen und der Aufnahme in eine Stiftung für besonders Begabte blieb er unter seinen Möglichkeiten. Er konnte seine Einfälle nicht festhalten und einmal ausgewählte Ideen nicht umsetzen. Leichte Konzentrations- und Antriebsstörungen fielen ihm auf. Er kam nicht auf die Idee, dass dies etwas mit seinem jahrelangen Cannabiskonsum zu tun haben könnte. Er ließ sich aber auf einen Abstinenzversuch ein. Es dauerte einige Monate, bis er wieder gezielt arbeiten konnte. Dann absolvierte er sein Examen mit Auszeichnung, erhielt eine Dozentenstelle und seine Kunstwerke finden mittlerweile Anerkennung. Nach fünf Jahren fasst er rückblickend zusammen: “Marihuana beruhigt und entspannt. Aber genau das macht auch unproduktiv. Wenn ich Cannabis konsumierte, war ich vollkommen unkreativ, aber es quälte mich nicht“. Er fügte hinzu: „Viele meiner Kommilitonen sind auf der Strecke geblieben: Schlichte Lustlosigkeit, aber auch Depressionen und Ängste und am schlimmsten die Psychosen. Schätzungsweise die Hälfte der regelmäßigen Cannabiskonsumenten hat ‚irgendetwas’“.
Deswegen möchte ich unterstreichen, dass es besonders für Jugendliche, die sich ja meist an den etwas Älteren orientieren, bessere Rituale gibt, um Wohlbefinden und Kreativität zu steigern: Lesen und Schreiben, Musizieren und Tanzen, Malen und Gestalten, Lernen und Studieren, Bewegen und Sporttreiben, Freundschaften und Liebesbeziehungen gestalten. Es ist unwahrscheinlich, dass man Vierzehnjährige von Cannabis abhalten kann, wenn ihre achtzehnjährigen Vorbilder im Café gemütlich und scheinbar avantgardistisch einen Joint rauchen.
In dem FAZ- Artikel habe ich Folgendes Hervorgehoben: „Nicht nur aus neurobiologischer, sondern auch aus psychoanalytischer Sicht ist die Adoleszenz, das typische Eintrittsalter für Cannabis-Gebrauch, eine hochkreative Umbauphase. Sie ist mit Spannungen und Konflikten verbunden. Wenn man diese persönlichen und sozialen Spannungen nicht durchlebt, sondern chemisch dämpft, geht vieles vom persönlichen Entwicklungspotential verloren. So dient Cannabis eben nicht dem emanzipatorischen Unabhängigkeitsbestreben, sondern dem resignativen Einfügen in bestehende Missstände.“
So begegnete mir während meiner früheren Krankenhaustätigkeit ein Patient, der sich mittels regelmäßigen Haschisch-Rauchens früh in seiner Pubertät abkapselte und sich in eine Eigenwelt zurückzog. Nach einigen Jahren stellten sich Wahnvorstellungen ein. Um die Welt zu reinigen, versuchte er immer wieder, das Haus der Nachbarn in Brand zu setzen. Wegen einer schizophreniformen Psychose wurde er als vermindert schuldfähig angesehen. Seine Behandlung war schwierig und er lebt bis heute in prekären, sozial isolierten Verhältnissen. Wie bei vielen durch Cannabis induzierten Psychosen lag nicht nur ein vorübergehender Rauschzustand vor, sondern es entwickelte sich eine chronische Erkrankung.
In Hinblick auf prominente Vorbilder kann man sich entscheiden, ob man Amy Winehouse und Jim Morrison oder Madonna und Mick Jagger folgen möchte. Die beiden zuerst genannten Pop-Ikonen haben ihre Kreativität mit Alkohol und Drogen früh vernichtet. Bei Amy Winehouse ist es hoch wahrscheinlich, dass Cannabis die Einstiegsdroge war. Madonna hat demgegenüber nach einer schweren Kindheit und vielen Entbehrungen durch Disziplin und Energie ihre Begabungen verwirklicht. Sie vermied bewusst Cannabis und Alkohol. Mick Jagger wurde nach einer kurzen Experimentierphase mit verschiedenen Drogen zu einem gesundheitsbewussten Künstler. Er tat alles, um z. B. seine Gitarristen von Drogen abzuhalten. Bei Brian Jones ist ihm dies nicht gelungen, auch er verstarb wie Amy Winehouse, Janis Joplin, Jim Morrison und Jimmy Hendrix im Alter von 27 Jahren. Bei häufigem Cannabis-Konsum ist es wie mit starkem Alkoholmissbrauch: Einige sehr Begabte und Kreative können einige Jahre trotz Alkohol und Drogen produktiv arbeiten. Diejenigen, die länger kreativ sind, haben irgendwann einmal auf Cannabis und andere Drogen sowie auf regelmäßig zu hohe Mengen Alkohols verzichtet. Viele sind aber schon vorher auf der Strecke geblieben.
In meiner Beratungs- und therapeutischen Tätigkeit kontaktierten mich viele Patienten wegen diffuser Verstimmungen, Konzentrationsstörungen, Lustlosigkeit und Beziehungsproblemen. Die Betroffenen und ihr Umfeld kamen erstaunlicher Weise nicht auf die Idee, dass dies auch an ihrem Cannabis-Konsum liegen könnte. Sie reagierten manchmal sogar ärgerlich, wenn man diese Möglichkeit nur in Betracht zog. Gelang es ihnen aber, ihren Cannabis-Konsum zu reduzieren, verbesserte sich ihre Stimmung, die Konzentrationsfähigkeit nahm zu und ihre Beziehungen wurden lebendiger. Manchmal fühlten sich die ehemaligen Konsumenten aber unruhiger und gespannter und mussten erst wieder lernen, mit dem Zuwachs an Energie kreativ umzugehen.
Besonders eindrucksvoll war der Fall eines Studenten, der unter Konzentrationsschwierigkeiten litt und in seinen Leistungen weit unter seinen Ansprüchen blieb. Beziehungen zu Frauen und zu Freunden waren „irgendwie uninteressant und langweilig“. Zu Beginn seiner Gymnasialzeit hatte man ihn als hochbegabt eingestuft und in der Tat absolvierte er alle Prüfungen mit Bestnoten. Dann begann er sich im Unterricht zu langweilen und konnte die für durchschnittliche Schüler notwendigen Wiederholungen nicht ertragen. Es wurde ihm nicht erlaubt, im Unterricht Romane zu lesen oder sich sonst zu beschäftigen. Seine Unruhe wurde ihm immer unerträglicher und er begann mit 14 Jahren systematisch vor der Schule, manchmal auch in den Pausen, einen Joint zu rauchen. Dies bereitete ihm zwar keine Freude, er konnte jedoch die Schule besser ertragen. Zehn Jahre später fragt er sich, warum er im Studium weit unter seinen Leistungsmöglichkeiten bleibt und ihn auch sonst nichts interessiert: „Ich komme nirgendwo mehr mit und ziehe mich in meine Kiffer-WG zurück. Sicher hätte ich früher Hilfe suchen sollen, aber es gab niemanden, der sich für mich interessiert hat“.
Viele erleben den Cannabis-Konsum als angenehm. Die Legalisierung würde einiges entspannen. Nur ist diese Entspannung wünschenswert? Die Risiken werden verharmlost und durch eine weitere Verbreitung bei erleichtertem Zugang werden viele, besonders Jugendliche, zusätzlich gefährdet. Die Deutsche Cannabis AG verkündet euphorisch unter der Überschrift „Nach dem Gold-Rush nun der Green-Rush“: „So taxiert etwa Bloomberg allein den US-Markt auf bis zu 45 Milliarden $, wenn Cannabis landesweit legalisiert ist“ (www.deutschecannabis.com). So wird für die Realisierung ökonomischer Interessen offensichtlich die persönliche Not vieler Menschen ausgenutzt, ihre Probleme Konflikte mit Cannabis zu vernebeln. Dazu sagte mir ein Achtzehnjähriger, dass er sich schon vor Jahren angesichts der furchtbaren Ehekonflikte seiner Eltern und seiner eigenen Einsamkeit und Richtungslosigkeit durch Cannabis „weggebeamt“ hätte, wenn er leichteren Zugang dazu gefunden hätte.
Aus psychoanalytischer und psychiatrischer Sicht existieren somit erhebliche Bedenken, den Zugang zu Cannabis zu erleichtern. Der immerwährende Vergleich mit Alkohol ist aus mehreren Gründen irreführend. Erstens macht es ein Gift nicht besser, dass ein anderes noch größere Schäden verursacht. Zweitens ist es zwar zutreffend, dass mehr Erkrankungen durch Alkohol ausgelöst werden als durch Cannabis. Aber die Zahl der Konsumenten, die alkoholische Getränke ohne jeden Schaden trinken, überschreitet diejenige der Cannabiskonsumenten um ein Vielfaches. Drittens werden Bier und Wein zumeist gar nicht mit dem Ziel eines ausgeprägten Rausches, d.h. einer messbaren Intoxikation des Gehirns, benutzt, sondern als Genuss- und Nahrungsmittel, das in geringen Dosen vollkommen ungefährlich ist. Umgekehrt ist aber die cerebrale Intoxikation das Ziel des Cannabiskonsums. Aus den genannten Gründen würde ich aus medizinischer und psychotherapeutischer Sicht den Cannabiskonsum nicht kriminalisieren, diese Droge aber nicht dem freien Markt und der damit verbundenen Weiterverbreitung überlassen.
Literatur:
Deutscher Hanfverband (2015): Cannabis – Wirkung, Nebenwirkungen und Risiken. hanfverband.de/inhalte/cannabis-wirkung-nebenwirkungen-und-risiken
Hoch, E., Bonnet, U., Thomasius, R., Ganzer, F., Havemann-Reinecke, U., Preuss, U. W. (2015): Risiken bei nicht medizinischem Gebrauch von Cannabis.
Deutsches Ärzteblatt, 112, 16, S. 271-278
Holm-Hadulla, R.M. (2015): Kiffen vergiftet die kreativsten Köpfe. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Juli 2015
Volkow, N.D., Baler, R.D., Compton, W.M. & Weiss, S.R.B. (2014): Adverse Health Effects of Marijuana Use. New England Journal of Medicine, 370: 2219-2227
Prof. Dr. Rainer Matthias Holm-Hadulla ist Psychoanalytiker und Psychiater. Er lehrt an der Universität Heidelberg und leitet die Psychosoziale Beratungsstelle für Studierende des Studierendenwerkst Heidelberg. Als Autor hat er Bücher zu den Themen Kreativität, Beratung und Psychotherapie verfasst: www.holm-hadulla.de