Zur Entwicklungsgeschichte des Arbeitsfeldes
Die Beschäftigung von Psychoanalytikern mit Organisationen, deren Führung und Struktur begann nach dem 2. Weltkrieg in den USA und in Großbritannien. Schwere Führungsfehler und entgleiste Gruppenprozesse mit z.T. schrecklichen Folgen im 2. Weltkrieg spielte dabei eine wesentliche Rolle.
In Bethel an einem kleinen College im US Bundesstaat Maine, der Gould Academy wurden unter der Federführung von K. Lewin die „National Training Laboratories“ gegründet . Dabei handelte es sich um die so genannten „T- Groups“ oder „Encounter Groups,“ in denen Führungskräfte aus Verwaltung und Industrie das eigene Verhalten und deren Wirkung auf andere und die Wirksamkeit von Gruppenprozessen in einer begrenzten Selbsterfahrung, erleben konnten. Fast zeitgleich entstanden in Topeka, Kansas, innerhalb der Menninger Foundation die „Executive Seminars“ – Seminare für Führungskräfte aus Verwaltung, Industrie, Militär und Forschung. Hier waren K. Menninger, H. Levinson und von 1970 bis 1982 auch der deutsche Psychoanalytiker T. Brocher federführend tätig. In Europa war es die Entwicklung und Gründung der „Leicester Conferences“ oder auch „Tavistock Conferences“ im Zusammenhang mit der Leicester Unversity und dem Tavistock Institute of Human Relations, die sich von psychoanalytischer Seite mit Organisation und Führungsfragen beschäftigten. Pioniere waren hier W. Bion, J. Rickmann, J. Sutherland, A.K. Rice, P. Turquet, E. Miller und E. Jaques. Sie alle waren interessiert an Gruppenprozessen in Arbeitszusammenhängen, an Führungsfragen und an Problemen der Organsiationsentwicklung. Die Staffmitglieder dieser Konferenzen waren Psychoanalytiker, Sozialwissenschaftler und Systemtheoretiker, die sich auf Bions Arbeitsgruppenkonzept der so genannten „Grundannahmen“ bezogen. Bis heute werden diese Tavistock Konferenzen durchgeführt mit bis zu 60 Teilnehmern. Führungskräfte aus allen Bereichen der Gesellschaft nehmen daran teil. Die 50. dieser Konferenzen, im Juni 2014 hieß „Authority, Leadership and Organization“. Die Veranstaltungen dauern jeweils eine Woche, mit einem Wechsel von Kleingruppen, Großgruppen und Anwendungsgruppen.
Das Konzept der „primary task“ – der primären Aufgabe (A.K. Rice 1973)
Das bedeutendste einzelne Konzept des Think Tanks „Tavistock Institute of Human Relations“ für den gesamtem Bereich der Beratung in und von Organisationen ist das von A.K. Rice entwickelte Prinzip der „primary task“ – der primären Aufgabe. Ein einfaches aber praktikables und außerordentlich wirksames Konzept. „Zu jeder Zeit hat das Ganze oder jeder Teil einer Organisation eine primäre Aufgabe: das ist die Aufgabe, deren Ausführung für ihr (der Organisation) Fortbestehen unabdingbar ist.“ (Rice 1973, S. 25) Wie viele Untersuchungen zu diesem Konzept gezeigt haben, ist die erfolgreiche Erfüllung der primären Aufgabe neben der existenzsichernden Funktion für die jeweilige Organisation eine überaus befriedigende Erfahrung der jeweils Beteiligten. Rice beschrieb drei Spezifizierungen bezüglich des optimalen Aufbaus der primären Aufgabe:
- sie sollte so beschaffen sein, dass es eine “ganze“ Aufgabe ist,
- die an der Erfüllung der Aufgabe Beteiligten sollten in der Lage sein, ihre eigenen Aktivitäten zu kontrollieren,
- die Aufgabe sollte es ermöglichen, dass die daran Beteiligten befriedigende Beziehungen zueinander entwickeln können.
Die primäre Aufgabe einer Organisation ist es den Zweck ihrer Gründung zu erfüllen. Die Erfüllung der primären Aufgabe sichert ihre Existenz, das Überleben der Einrichtung oder des Unternehmens. Oft, vor allem wenn es zu Problemen kommt, verschiebt sich die „primary task“ einer Institution. So gab es z.B. bei einem Sportverein mit 1800 Mitgliedern gehäufte Konflikte, Beschwerden und auch Austritte. Nach einigen orientierenden Gesprächen mit dem Vorstand und einigen Vereinsmitgliedern wurde recht schnell klar, dass seit einiger Zeit im Vorstand des Vereins durch eine wichtige Gruppierung eine bestimmte politisch gefärbte Parteipolitik verfolgt wurde, die sich im Kontext einer bestimmten Politik in der betreffenden Gemeinde entwickelt hatte. Dies hatte mit der sportlichen Primäraufgabe kaum noch etwas zu tun. Eine außerordentliche Mitgliederversammlung beschloss mit der erforderlichen Mehrheit Neuwahlen, bei denen ein neuer Vorstand gewählt werden konnte.
Die Frage nach der jeweiligen Primäraufgabe eines Teams, eines Vorstandes, einer Abteilung oder auch eines Unternehmens kann für den Berater einen Einstieg bilden, sich im komplexen Geflecht von Organisationen zu orientieren.
Die vier Felder der psychoanalytischen Beratung in Organisationen
In allen vier Feldern, die man heute im Allgemeinen zur psychoanalytisch orientierten Beratung in und von Organisationen zählt, ist die Orientierung an der primären Aufgabe der zu beratenden Organisation außerordentlich hilfreich. In Deutschland haben sich Peter Fürstenau (Düsseldorf), Burkhard Sievers (Universität Wuppertal), Ulrich Beumer (INSCAPE, Köln), Ross Lazar und Mathias Lohmer (beide München) H. Möller (Universität Kassel) und R. Haubl (Sigmund Freud Institut, Frankfurt) in besonderer Weise um diesen Bereich angewandter Psychoanalyse verdient gemacht. International wurde 1986 die ISPSO gegründet – the International Society for Psychoanalytic Studies of Organizations von Kets de Vries, Harry Levinson und später auch Kenneth Eisold.
Die vier Felder, in denen psychoanalytische Organisationsberatung Anwendung findet, sind:
- Teamsupervision
- Leitungssupervision
- Organisationsentwicklung
- Coaching
1. Teamsupervision
Die Supervision von multiprofessionellen Teams einer Station einer psychosomatischen Klinik , die 20 Patienten behandelt, umfasst z.B. zwei Ärzte und Psychotherapeuten, eine Musiktherapeutin, einen Therapeuten für konzentrative Bewegungstherapie, einen Sozialarbeiter und vier bis fünf Krankenschwestern bzw. Krankenpfleger. Diese unterschiedlichen Berufsfelder müssen miteinander in Beziehung gesehen werden. Von 1976 bis 2006 habe ich jeweils über mehrere Jahre insgesamt 16 solcher Teams in 6 psychosomatischen und psychiatrischen Kliniken supervidiert. Neben den vielen klinisch dynamischen Kontexten bezüglich der in diesen Supervisionen vorgestellten Patienten waren es drei wiederkehrende Frageperspektiven, mit denen ich nach und nach diese Arbeit zu strukturieren versuchte:
- Mit welchen Konzepten erfüllen sie ihre primäre Aufgabe?
- Wer leitet welche Gruppe, welches Treffen, die Gesamtstation ?
- Wie ausgeglichen, verteilt und balanciert ist die emotionale und reale Beteiligung der verschiedenen Mitarbeiter in der Gesamtgruppe (Gruppenprozesse) ?
Der Supervisor sollte bei einer solchen Aufgabe neben der soliden klinischen Sachkenntnis vor allen Dingen Erfahrungen im Umgang mit Gruppen haben – idealerweise sollte er selbst eine Zeit lang an einer analytischen Therapiegruppe teilgenommen haben, um mit Gruppenprozessen vertraut zu sein. In Teamsupervisionen kommt erfahrungsgemäß etwa alle 4 Sitzungen einmal ein Teamproblem zur Sprache, das über die Besprechung der jeweiligen Patientenbehandlung hinausgeht: ein Konflikt, ungeklärte schwelende Auseinandersetzungen, Führungs- oder Konzeptfragen, Rivalitätsprobleme, Selbstwertverletzungen und deren Folgen und besonders wichtig: Wertedifferenzen im Team. Hier ist dann nicht klinische Fachkenntnis gefragt sondern das Eingehen auf gruppendynamische Prozesse und Perspektiven von Teamentwicklungen.
Die Kenntnis der Dynamik der so genannten „Grund- Annahmen- Gruppen“ von W. Bion kann dabei hilfreich sein: Wenn Arbeitsgruppen ihre primäre Aufgabe aus den Augen zu verlieren drohen, gibt es nach Bion insbesondere drei unterschiedliche Entwicklungen, die er „Grundannahmen“ nannte, die dann den Gruppenprozess wesentlich bestimmen und eine konstruktive Arbeit verhindern:
- Die „Kampf – Flucht“- Einstellung bzw. Grundannahme: die Gruppe kämpft oder „läuft weg“. Dies dient wesentlich der Abfuhr von Feindseligkeit, oft gegenüber einem Außenfeind.
- Die „Paarbildungs“- Grundannahme: Hier unterstützt ein Paar oder ein Ideal eine Ideologie oder messianische Hoffnungen in der Gruppe.
- Die „Abhängigkeits“ - Grundannahme. Hier entwickeln sich abhängige, gehorsame „Untertanen“ in der Gruppe, was depressive Gefühle mindern soll.
Die Kenntnis dieser Dynamik - Varianten kann ein wichtiges Mittel sein für die Navigation des Supervisors bei Teamkonflikten. Sie hilft Probleme zu ent-personalisieren und als Gruppenprobleme zu erkennen, was den Gruppenteilnehmern eine gewisse emotionale Distanz ermöglicht und die Reflektionsfähigkeit fördert.
Ein Beratungsmodell
Für die im Folgenden behandelten Arbeitsfelder, nämlich Leitungssupervision, Organisationsentwicklung und Coaching möchte ich Ihnen ein Beratungsmodell mit sechs bzw. sieben Perspektiven vorstellen, das im Wesentlichen O. Kernberg im Anschluss an A.K. Rice entwickelt hat (Kernberg 1984, S. 40-43). Es sieht folgende Arbeitsschritte vor:
- Beschreibung der primären Aufgabe und deren Folgen sowie die Exploration der Organisationsstruktur, mit der diese Aufgabe erfüllt werden soll.
- Hat die Organisation Kontrolle über ihre eigenen Grenzen (boundary management)
- Wie wird Autorität in der Organisation verteilt und delegiert?
- Die Eigenheiten der Führung und des Gesamtleiters (Führungskultur).
- Die Beachtung und Untersuchung der Gruppenprozesse auf den verschiedenen Ebenen.
- Die Bewertung der vorhandenen benutzten / nicht benutzten oder auch der überbeanspruchten menschlichen Ressourcen einer Organisation.
- Transparenz und Verbindlichkeit.
Dieses Modell ist nicht als festgelegtes Schema gedacht sondern als Orientierungshilfe beim schrittweisen Vorgehen im Prozess der Beratung in Organisationen.
Es ist oft schon hilfreich und modellbildend für die Mitarbeiter der Organisation, wenn der Berater selbst seinen Orientierungsprozess deutlich markiert, also ausspricht und erläutert, was er beobachtet. Die mitlaufende Beachtung dieses Aspektes ist bedeutsam bei allen Gesprächen mit den betroffenen Personen in der Organisation.
Die Arbeit mit der Affektchoreographie
Sozusagen quer zu den erwähnten Perspektiven des Beratungsmodells liegt die Beachtung der emotionalen Entwicklung einer Beratungssitzung. Das gilt für alle der oben genannten vier Felder. Allein der Eindruck der ersten Begegnung mit einem Team, einer Abteilung oder einer Forschungsgruppe und die dabei beobachteten emotionalen Tönungen in der Gruppe und beim Berater selbst können bedeutsam sein für das spätere Verständnis eines auftauchenden Problems. Wie befremdlich oder freundlich, reserviert oder emphatisch wird der zunächst „fremde Gast“ begrüßt? Wie gestaltet sich die weitere emotionale Entwicklung und Verflechtung? Dieses Geschehen, das ich affektive Choreographie nenne, ist oft bedeutsamer als die vielen unterschiedlichen Inhalte, die berichtet werden. Das Nachspüren bestimmter Affektkonstellationen liefert manchmal Hinweise über den mehr oder weniger unbewussten Konflikt eines Teams. So kann z.B. die Vermeidung des Ausdrucks von Trauer oder Enttäuschung, oder von Erschöpfung in einem Team ein Hinweis sein, dass ein chronisch zu hohes Anspruchsniveau besteht, was tendenziell zu einer Überbeanspruchung der Mitarbeiter führt. Hier kann es wichtig sein, darauf aufmerksam zu machen, dass ein „gut genug“ wichtiger sein kann als eine fast perfekte Lösung.
Das führt zurück zu Punkt 2. des Modells: Hat die Organisation Kontrolle über die eigenen Grenzen? Dazu gehört die Balancierung des eigenen Anspruchsniveaus mit den wirklich erbrachten Leistungen eines Teams – „müssen wir alles können?“ Auch die Abgrenzung zu und die Kooperation mit anderen Teams oder Abteilungen oder auch gegenüber den Verwaltungseinrichtungen der eigenen Organisation gehört hierher.
2 .Leitungssupervision
Die Aspekte 3 und 4 des oben vorgestellten Beratungsmodells (3. wie wird die Autorität verteilt und 4. wie ist die die Führungskultur beschaffen,) haben bei der Leitungssupervision und der Organisationsentwicklung zentrale Bedeutung. Bis zum Ende der 80er Jahre wurde das Problem von Autorität und Führung in sehr vielen psychosomatischen- und psychiatrischen Kliniken und Einrichtungen der Jugendhilfe nahezu tabuisiert. Im Zuge einer historisch durchaus verständlichen und z.T. auch notwendigen Tendenz einer Herstellung von „Herrschaftsfreiheit und der damit verbundenen Forderung nach Demokratisierung“ wurden Führungsfragen fast systematisch vernachlässigt bzw. tabuisiert. Dies führte allerdings oft zu chaotischen, bizarren, sehr widersprüchlichen und auch fruchtlosen Entwicklungen. Inzwischen hat sich das grundlegend geändert. Die Notwendigkeit von kompetenter und funktioneller Führung wird heute weitgehend anerkannt. Sowohl bei der Beratung in Leitungsfragen als auch bei der Begleitung von Organisationsentwicklung ist die Kenntnis der Organisationsstruktur (s. Pkt. 1. des Modells) sowie die Exploration der Führungskultur in den verschiedenen Ebenen unabdingbar. Hierbei hilft die Erstellung eines Organogramms, in dem alle Teilstrukturen und deren Vernetzung graphisch dargestellt werden. Ich habe es mehrmals erlebt, dass ein solches Hilfsmittel in Organisationen erst durch den Beratungsprozess selbst hergestellt wurde. Das Organogramm gibt eine erste Übersicht über die Gliederung, die Struktur und die Führungsebenen einer Organisation. Es hilft dabei, das Wirken informeller Strukturen neben der offiziellen Gliederung besser zu erkennen. Wichtige Charakteristika einer Institution werden erkennbar: Wie vertikal oder flach ist die Hierarchie, wie stark wird differenziert und delegiert und nach welchen Gesichtspunkten, wie sind die Integrationswege? Die genaue Kenntnis der Führungskultur einer Institution erschließt sich aber erst nach und nach in Gesprächen mit dem Gesamtleiter, der Führungsriege und den Abteilungsleitern.
Viele psychoanalytische Organisationsberater betonen die Bedeutung der Kenntnis der Persönlichkeit des Leiters eines Unternehmens, da dieser explizit und implizit das Gesamtklima, die Motivation und den Stil der Kooperation der ganzen Institution bestimmt. Welche Art von Führungsriege hat der Leiter um sich versammelt? Wie beeinflusst er mehr oder weniger regressive Gruppenprozesse in der Institution und wie geht er selbst mit dem Druck solcher Prozesse um? Wie viel vertieftes Verständnis hat er für Mitarbeiter, ihre Stärken und Schwächen? Wie viel Toleranz für Kritik bringt er auf? Kann er Stärken anderer würdigen oder fürchtet er ständig möglicherweise stärkere, klügere oder erfahrenere Rivalen? Kann er selbst fest und entschieden sein und doch herzlich und verbindlich im Kontakt? Wie transparent macht er seine Absichten, Ziele und Methoden gegenüber den wichtigsten Mitarbeitern – oder muss er durch unnötige Geheimhaltung oder Undurchsichtigkeit führen? Wie reagiert er unter Druck und Stress? Wird er kämpferisch, angreifend und vielleicht beschuldigend? Ist er eher defensiv, vorsichtig und etwas ängstlich oder bleibt er umsichtig in der Beteiligung der jeweils betroffenen Mitarbeiter? Solche möglichst genauen Beschreibungen sind m.E. hilfreicher als die Einteilung von Führungsstilen entlang einer psychoanalytischen Pathologie. Zwar ist diese leider allzu oft zutreffend, aber im Beratungsprozess hat es sich nach meiner Erfahrung bewährt, auf jegliche Pathologisierung zu verzichten. Stattdessen ist es besser die betreffenden Phänomene genau zu beschreiben. Also z.B. mit einem eher narzisstisch und etwas paranoiden Chef, andere Interpretationsmöglichkeiten, als er sie regelhaft anwendet, zu erkunden und zu erproben. Es ist hilfreicher zu fragen, wie sich der Vorstandsvorsitzende auf die primäre Aufgabe bezieht und wie er deren Erfüllung organisiert.
Es gibt inzwischen eine kaum noch überschaubare Vielzahl von Theorien und Konzepten über Führung und Führungspersönlichkeiten. Es ist in jedem Fall wichtig sich darüber klar zu sein, welche implizite und explizite Theorie von optimaler Führung der Berater selbst hat.
Ich arbeite meistens mit einem relativ einfachen Modell von funktioneller Führung, bei dem 3 Aspekte relevant sind, die miteinander verbunden sind: Führung, Partizipation und Delegation. Damit habe ich auch in der Praxis eigener Führungsfunktionen als Leiter der Psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft Köln Düsseldorf über vier Jahre und später als Vorsitzender der DPV gute Erfahrungen gemacht.
Führung heißt, diese auch ausdrücklich zu übernehmen und durchzuführen. Das betrifft das Timing von Besprechungen, deren Leitung und deren Tagesordnung. Die Begleitung von Projektentwicklungen und die Meisterung von aktuell auftretenden Konflikten und Krisensituationen im täglichen operativen Geschäft. Es muss entschieden werden, wann etwas wichtig ist und was wichtig ist und Vorrang hat oder auch nicht. Der amerikanische Präsident Ike Eisenhower hatte ein einfaches System für die Selbstorganisation seiner Führung, indem er alle Vorgänge nach zwei Leitdifferenzen unterschieden hat: wichtig / unwichtig und jetzt / oder später zu erledigen. Er hat oft gesagt ein Schriftstück sollte man maximal dreimal in die Hand nehmen: wenn man es bekommt, wenn man es bearbeitet und wenn man es ablegt.
Mit Partizipation ist größtmögliche Beteiligung z.B. der Führungsmannschaft, des geschäftsführenden Vorstands an allen relevanten Vorgängen gemeint. Dieses Prinzip ist zugleich eine der wichtigsten Motivationsquellen für Mitarbeiter, da durch kontinuierliche Beteiligung die Selbstwirksamkeit gestärkt wird. Ein dysfunktionales Beispiel hat einer der Pioniere des Feldes, Harry Levinson, von der Menninger Foundation beschrieben: „managment by guilt,“ . (Levinson 1984 S. 132-152) „Führung aus Schuldgefühlen,“ ein Führungsstil, der durch Hemmung und fehlende Deutlichkeit gekennzeichnet ist. Das geschieht z.B. durch zu große Nachgiebigkeit, Aufschieben unliebsamer, schmerzlicher Entscheidungen, keine angemessene Rückmeldung von Fehlern und Versäumnissen oder auch Schwächen an die Mitarbeiter. Es kommt dann zu einem wachsenden Rückstau ungelöst schwelender Angelegenheiten, die den Verantwortlichen Leiter immer mehr beeinträchtigen. Die andere Variante ist die „Führung mit Schuldgefühlen,“ die den Mitarbeitern gemacht werden. z.B. durch drohend fordernde Vorgaben, die einschüchtern und Angst machen: „Das ist aber das Mindeste was ich von Ihnen erwarte, jetzt müssen Sie sich aber mal besonders anstrengen um zu zeigen, dass Sie diese Position zu Recht bekommen haben !“ Die Schuldgefühlsbereitschaft vieler Mitarbeiter ist oft erstaunlich groß. Beide Varianten eines solchen „management by guilt“ sind häufiger als man denkt.
Die Delegation dagegen nimmt Mitarbeiter in verbindliche und möglichst überschaubare Verantwortung. Die Erfüllung einer an ihn delegierten Aufgabe kann für den betreffenden Mitarbeiter eine sehr befriedigende Erfahrung sein. Untersteuerung und Unterforderung können genauso Probleme schaffen wie Übersteuerung und Überforderung. Es sollte immer wieder Erfahrungen geben, die mit dem Gefühl verbunden sind: „es ist so gut genug!“ Die Verweigerung von Anerkennung für Leistungen ist einer der häufigsten Führungsfehler. Hier gibt es eine Fülle von zumeist sehr unzutreffenden Überzeugungen der Art: Anerkennung macht satt und müde! Das chronische Fehlen von Anerkennung ist eine der Hauptgründe für Burn - Out - Entwicklungen!
Noch einige Anmerkungen zu Punkt 5 des Beratungsmodells, der Beachtung von Gruppenprozessen in allen vier genannten Arbeitsfeldern. Die Arbeit in und mit Gruppen im Sinne einer Teamentwicklung auf den verschiedenen Ebenen der Organisation, wobei es gleichzeitig deutlich erkennbare Leiter geben muss, ist einer der wichtigsten Faktoren für ein kooperatives, gut motiviertes und auch produktives, leistungsfähiges Unternehmen. Das erfordert eine relativ hohe Elastizität und Balance zwischen der Beteiligung der Mitarbeiter und der Führung vom Leiter. Partizipation und Delegation kann sehr dabei helfen unnötige „Zicken – oder Hahnenkämpfe“ zu verhindern.
3.Organisationsentwicklung
Hier nur eine sehr kurze Skizze: Neben der Definition und Performanz der primären Aufgabe kann man davon ausgehen, dass Organisationen die kombinierte Beachtung von drei Sektoren brauchen:
- Den Sektor von Organisations- Entscheidungs- und Führungsstruktur und deren Transparenz
- Den Sektor der mittel- und langfristigen Fortentwicklung der Organisation und der Berücksichtigung ihres wechselnden Verhältnisses zu ihrer je relevanten Umwelt.
- Den Sektor der Kohäsion der Organisation mit dem Grundsatz; So viel Differenzierung, dass Integration möglich bleibt.
Dies ist nur eine von unzähligen Theorien zur Entwicklung von Organisationen. Ein Trend der letzten 20 Jahre war das so genannte „change management.“ Dabei geht es um die Kunst der Veränderung von Organisation. So z.B. bei einer Einrichtung aus dem Bereich der Jugendhilfe. Diese war in den letzten Jahren enorm gewachsen und hatte inzwischen 25 hauptamtliche und über 60 ehrenamtliche Mitarbeiter. Dadurch ergab sich die Notwendigkeit, eine mittlere Führungsebene von drei Abteilungsleiterinnen zu implantieren - gegen den Widerstand der meisten „altgedienten“ Mitarbeiter, die es gewohnt waren, dass fast alles von der Gesamtgruppe beraten und entschieden wurde. Bei einer Größe der Behörde von 10 Mitarbeitern war das noch möglich und hatte auch funktioniert, Aber mit inzwischen 85 Mitarbeitern war dieses ursprüngliche Vorgehen dysfunktional geworden..
4. Coaching
Inzwischen ist das Coaching zu einem buchstäblich „weiten Feld“ geworden und es gibt zahllose Coaches mit sehr unterschiedlichen Aufgaben und Kompetenzen in vielen, sehr unterschiedlichen beruflichen Feldern. Coach heißt wörtlich übersetzt „Kutsche“, es geht also darum jemanden vorübergehend in einer Kutsche für eine gewisse Strecke mit zu nehmen, möchte ich frei ergänzen. Der ursprüngliche Coach ist der Trainer im Sport. Beim Coaching geht es um Verstehen und Veränderung von Deutungs- und Handlungsmustern in einem spezifischen beruflichen Kontext von einzelnen Personen sowie um die Berücksichtigung der beruflichen Entwicklungsperspektive und deren Verschränkung mit der persönlichen Entwicklung des Betreffenden. Der Anlass einen Coach aufzusuchen hat oft damit zu tun, dass sich die Lebensgeschichte mit der Berufsgeschichte kreuzt: Zum Beispiel kommt ein neuer Vorgesetzter in den Betrieb. Unversehens ist mit dieser Person für einen Mitarbeiter die eigene Dynamik mit dem älteren Bruder aktiviert und bestimmt bzw. kompliziert die Kooperation mit dem neuen Vorgesetzten in nachhaltiger und zunächst oft nicht erkennbarer Weise. Dieser Zusammenhang erschließt sich für den außen stehenden Berater u.U. relativ schnell schon in der ersten Coaching Sitzung.
So wie es gegenüber dem sehr heterogenen Feld von Coaching sehr schnell oft sehr zentrale Bewertungen, oft auch Entwertungen, gibt, so geht es im Prozess des Coaching selbst regelhaft um Werte-Fragen der persönlich beruflichen Einstellung, der eigenen Legitimität und dem „sozialen Dürfen“. Ernst gemeintes Coaching berührt fast immer existentielle Sinnfragen: Fragen der Verantwortung für die Mitarbeiter, Fragen der Nachhaltigkeit organisatorischer Entscheidungen, Fragen einer „gesunden“ Organisation aber auch Fragen des persönlichen „Glücks.“ Viele Aspekte der work-life Balance und des persönlichen Sinns der eigenen Arbeit sind berührt. Sehr schnell verschränken sich so Lebens- und Arbeitsthemen, die zunächst einmal zu eruieren und zu explorieren sind, bevor Veränderungen avisiert werden können. In diesem Arbeitsfeld zwischen „Coaching und Couching“ kann die psychoanalytische Arbeit der Vertiefung und des Durcharbeitens von Problemfeldern sehr hilfreich sein. Daneben stellt diese Arbeit Fragen an das eigene Bild von Führung und von Lebenskunst beim Berater selber, wobei die Berücksichtigung von Ressourcen und Möglichkeiten der Erholung besondere Bedeutung zukommt. Die sorgfältige und behutsame Exploration der Wertewelt des zu Beratenden hilft diesem oft wesentlich dabei Entscheidungen zu treffen, die mit seiner Überzeugung konsistent sind. Eine wichtige Frage in diesem Prozess ist, als wie kompatibel die Wertewelt zwischen Coach und Coachee sich darstellt. Welche Differenz ist tolerabel für beide und welche nicht mehr? Auch hier ist die Beachtung der emotionalen Konstellationen sehr wichtig, da Wertefragen fast immer affektiv sehr aufgeladen sind. Dabei gilt, dass die Affekte nicht der unsachliche Teil eines Problems ist, sondern der wichtige persönliche Ausdruck einer eigenen Stellungnahme. Es geht nicht um Deutung oder Pathologisierung der Affekte sondern um deren Einbindung in den Kooperationsprozess. Das Mittragen bestimmter Affekte ohne sofort reagieren zu müssen im Coaching Prozess selbst kann für den Coachee als Modell dienen für die Containerfunktion, die er als Führungskraft in der Organisation oft bereitstellen muss. Das kann helfen die Atmosphäre von gnadenlosem Konkurrenzkampf ein wenig zu mildern oder den Druck einer Tempoverschärfung etwas zu senken.
Zusammenfassung
Ich habe versucht Ihnen etwas über die Geschichte des Arbeitsfeldes„Psychoanalytische Beratung von Organisationen“ zu skizzieren.
Die vier Felder des Arbeitsbereiches angewandter Pychoanalyse habe ich vorgestellt.
- Teamsupervision
- Leitungssupervision
- Organisationsentwicklung
- Coaching
Eine zentrale Rolle in all diesen Feldern spielt die primary task, die primäre Aufgabe deren Erfüllung das Fortbestehen der Institution sichert bzw. die ursprünglich auch der Gründungszweck der Organisation war.
Bei der sukzessiven Vorstellung der vier Arbeitsfelder habe ich ein Beratungsmodell beschrieben, bei dem entlang einer Reihe von Fragen für den Berater eine Orientierung und eine Klärung des Kontextes des Beratungsbedarfs und erste Lösungsoptionen entwickelt werden können:
Fragen werden diskutiert:
- nach der primären Aufgabe
- nach den Grenzen der Organisation (boundary managment)
- nach der Struktur und Kultur der Führung des Ganzen und ihrer Teile
- nach den Gruppenprozessen und deren Dynamik
- Und schließlich nach den benutzten oder auch überbeanspruchten personellen Ressourcen der Organisation
- Und last but not least nach der Transparenz und Verbindlichkeit der Verhaltensweisen auf allen Ebenen
Ein kleines Führungsmodell um die Aspekte Führung, Partizipation und Delegation ergänzt den Hintergrund des Beratungsmodells, wobei quer zu allen formalen und inhaltlichen Aspekten die Beachtung der affektiven Choreographie von großer Bedeutung ist.
Literaurhinweise
Aktuelle Übersicht:
Lohmar M. Möller H. (2014) Psychoanalyse in Organisationen (Kohlhammer) Stuttgart
Allgemeine Arbeiten:
Lenz G. (Hg.) Mertens W., Lang H.J. (1991) Die Seele im Unternehmen. Psychoanalytische Aspekte von Führung und Organisation im Unternehmen. (Springer) Berlin, Heidelberg, N.Y.
Oberhoff B. Beumer U. (Hg.) (2001) Theorie und Praxis Psychoanalytischer Supervision (Votum) Münster
Weimer M. (1999) Psychoanalyse und / als Organisiation Psyche 53, 8-51
Klassiker:
De Board R. (1978) Psychoanalysis of Organizations (Tavistock Publcation) London
De Vries M.K. (ed.) (1984) The Irrational Executive (IUP) N.Y.
Claessens D. (1977) Gruppe und Gruppenverbände (Wiss. Buchgesellschaft) Darmstatdt
Rice A.K. (1973) Führung und Gruppe (Konzept der Tavistock Konferenz) (Klett) Sttg.
Sievers B. (Hrsg.) (1977) Organisationsentwicklung als Problem (Klett Cotta) Stuttgart