Den Autor beschäftigt die Frage, wie in der heutigen Zeit Vaterschaft noch gelingen kann. Mit dem Zerfall patriarchaler Strukturen und der Auflösung traditioneller Lebensformen kam es zu einem Niedergang der tradierten Vaterbilder. In einem gesellschaftlichen Klima, das auf Selbstverwirklichung, Flexibilität und Selbstoptimierung setzt, scheint es nur noch wenig Platz für die Gründung einer Familie zu geben. Die Kritik der Studentenbewegung an den autoritären Vätern und von feministischer Seite an der männlichen Dominanz und Gewalt in der Kultur verstärkte die Krise der männlichen Identität, die zu einer nachhaltigen Verunsicherung führte und nur wenig Raum für ein neues, positiv konnotiertes Bild von Väterlichkeit zuließ.
Mit der Krise der männlichen Identität wurde eine positive Identifikation mit der väterlichen Position schwierig. Die Auflösung sozial und kulturell geteilter Vaterbilder – so die zentrale These des Buches – „hat nicht zu einem neuen väterlichen Leitbild geführt, sondern zu Fragmenten von Vaterschaften, die weitgehend unverbunden nebeneinander her bestehen“. Die divergierenden Haltungen reichen von einer Ablehnung und Verleugnung der Bedeutung des Vaters für das Kind bis hin zu gelungener Übernahme der Verantwortung für die Familie. In der Abwehr der Vaterschaft, die von defensiver Vermeidung einer selbstbewussten männlichen Identität bis hin zu einer phallisch-narzisstisch überbetonten Männlichkeit reicht, sieht der Autor eine grundlegende Verweigerung der Vaterschaft. Durch eine Verwerfung des ödipalen Vaters, der Nicht-Anerkennung seiner Bedeutung, bleibt die väterliche Dimension verschlossen. Es besteht darüber hinaus die Gefahr, so die weitere These des Autors, dass durch eine fehlende libidinöse Bindung große Teile der männlichen Aggressivität sozial ungebunden bleiben und in der Aufkündigung der Generationenfolge destruktiv ausgelebt werden. Reiche spricht in diesem Zusammenhang von einem „kollektiven Infantizid“, einem Angriff auf das Leben der nachfolgenden Generationen.
Nach Auffassung des Autors lassen sich heute insbesondere zwei Formen männlicher Identität beobachten, die sich im Spannungsfeld von defensiver Vermeidung eines selbstbewusst-männlichen Auftritts und einer phallisch-narzisstischen Haltung bewegen. Der defensive Rückzug vermeidet eine als aggressiv empfundene Männlichkeit. Es kommt zum Verharren in einer passivtrotzigen Haltung, in der unbewusst kindliche Identifizierungen aufrecht erhalten werden. Eine väterliche Position wird u.a. vermieden, um eine versorgend mütterliche Beziehung nicht zu gefährden. In einer phallisch-narzisstischen Einstellung, die primär durch das Ausleben eigener Bedürfnisse und Wünsche charakterisiert ist, wird eine väterliche Identifikation gänzlich verworfen. Der Vater gerät ganz aus dem Blick.
Mit dem Rückzug der Männer aus der Verantwortung verwaist der väterliche Raum. Es entsteht eine Leerstelle, eine strukturelle Lücke, die in der Folge eine Ablösung aus der mütterlichen Bindung erschwert. Am Beispiel des autobiographischen Romans „Die Erfindung des Lebens“ von Hanns-Josef Ortheil wird auf schöne Weise beschrieben, wie ein fast autistischer Junge durch den Zugang zur väterlichen Dimension aus dem mütterlichen Klaustrum – dem Eingeschlossen-Sein in der mütterlichen Welt - befreit wird, in dem er zuvor stumm gefangen war.
In zahlreichen, sehr anschaulichen klinischen und literarischen Beispielen illustriert Metzger die „modernen Pathologien“ der Vaterschaft. Immer häufiger wachsen Kinder mit der Erfahrung eines abwesenden oder gänzlich fehlenden Vaters auf. Schon Mitscherlich hat 1963 in seinem berühmten Buch „Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft“ auf diese Dynamik hingewiesen.
Heute ist ein Rückzug aus der väterlichen Verantwortung zu beobachten, der vielfältige Ursachen hat. Oftmals ziehen sich die Väter nach der Geburt eines Kindes aus der Partnerschaft zurück, weil sie nicht Vater sein können oder wollen oder die frühe Mutter-Kind- Beziehung nicht ertragen. In anderen Fällen fühlen sie sich von der Mutter als störender Dritter ausgeschlossen. Noch radikaler sind die Verwerfungen bei anonymen Samenspenden, bei denen es zu einer Eliminierung des realen Vaters kommt. Durch das Fehlen der Väter bleiben die Kinder Gefangene ihrer eigenen imaginären Vaterphantasmen, die sich stumm mit den unbewussten Vaterbildern der Mütter kreuzen. Das Ausbleiben einer Auseinandersetzung mit einem realen Vater und den damit verbundenen Enttäuschungen erschwert eine notwendige Entidealisierung und die Identifikation mit einem begrenzten und begrenzenden Vater.
Der Autor unterstreicht die Auffassung, dass nur eine ödipale Präsenz des Vaters als Dritter die Dominanz einer narzisstischen Dynamik der Selbstbezogenheit öffnen kann. In der Bewältigung des ödipalen Konflikts, der das Kind mit dem „non/nom du père“ (Lacan), dem Verbot des Vaters konfrontiert, kann die inzestuöse Verstrickung gelöst werden und ein triangulärer Raum entstehen. „Das Subjekt wird, wenn es gelernt hat, bis drei zu zählen.“ (Borens). Dabei repräsentiert der Vater die notwendigen Grenzsetzungen gegenüber dem Kind. Viele Väter wehren sich jedoch gegen die Vorstellung, Autorität auszuüben. Sie wollen nicht durch väterliche Distanz, Forderungen und Begrenzungen Konflikte und Feindseligkeit auf sich ziehen. Die verführerisch einfache Idee einer egalitären Verhandlungsfamilie, die von der Illusion lebt, dass Wünsche, Ängste und narzisstische Interessen konfliktfrei aufgelöst werden können, kommt ihnen dabei sehr entgegen.
Abschließend skizziert Metzger Perspektiven eines neuen väterlichen Selbstbildes, das durch die Bereitschaft getragen wird, eine lebenslange Bindung und Verantwortung für das Kind einzugehen. Hatte die Kritik an den traditionellen patriarchalen Strukturen oftmals zu einer Negierung des Väterlichen geführt, plädiert Metzger für eine sinnvolle Dynamik zwischen Bewahrung und Erneuerung. Stärker als Freud betont er die Notwendigkeit einer liebevollen, väterlichen Beziehung. Nur ein ausreichend guter, gleichzeitig Grenzen setzender Vater kann eine Beziehung ermöglichen, die dem Kind eine eigene Entwicklung und die Bereitschaft zur späteren Elternschaft eröffnet. Von Nöten wäre seiner Ansicht nach ein öffentlicher Diskurs über das Selbstverständnis von Eltern-Sein und insbesondere von Vater-Sein in der heutigen Zeit, um zukünftigen Generationen wieder eine Orientierung zu bieten.
Metzger ist mit seinem Buch eine sehr umfängliche und vielschichtige Analyse der Problematik der Vaterschaft in der heutigen Gesellschaft gelungen. Durch den Zerfall patriarchaler Strukturen und die Auflösung tradierter Vaterbilder kam es zu einer strukturellen Lücke, die eine Neubestimmung der Bedeutung und Rolle des Väterlichen in der heutigen Zeit notwendig erscheinen lässt. Metzgers Versuch, ein neues Vaterbild zu entwerfen, macht jedoch die Schwierigkeit deutlich, unter den Bedingungen der Postmoderne, ohne Rückbezug auf Mythologie, Religion oder kulturelle Tradition, ein sowohl überzeugendes wie auch tiefer fundiertes Vaterbild zu begründen.
Kritisch anzumerken ist, dass Metzger der Komplexität der väterlichen Dimension in man-chen Aspekten nicht ausreichend gerecht wird. Die Freudschen Überlegungen zur Bedeutung des Vaters in Bezug auf Kastrationskomplex, Geschlechtsidentität, Über-Ich-Bildung und Psychopathologien werden nur gestreift. Dennoch ist das Buch ein wichtiger Beitrag für eine schon seit langem notwendige öffentliche Diskussion über die Bedeutung und Rolle der Väter in der heutigen Zeit. Es ist zu wünschen, dass dieses gut geschriebene Buch sowohl bei Analytikern und Psychotherapeuten wie auch Pädagogen und interessierten Laien auf reges Interesse und eine gute Resonanz stößt.
Hans-Geert Metzger: Fragmentierte Vaterschaften. Über die Liebe und die Aggression der Väter. Frankfurt/M (Brandes&Apsel ) 2013, 175 Seiten, 19,90 €
* Autor: Christof Flad, Diplom-Psychologe, niedergelassener Psychoanalytiker in Freiburg