Anlässlich des Suizids von Robert Enke haben sich viele Experten zum Thema Depression zu Wort gemeldet. Die Depression zeigt sich in ihren schweren Formen als eine Erkrankung an der Schnittstelle zwischen Biologischem und Psychischen und fordert daher Psychiater, Psychotherapeuten und Neurobiologen heraus. Klinische Erfahrungen und auch Therapiestudien belegen die Wirksamkeit und die Grenzen aller Verfahren. Vorläufige Ergebnisse einer laufenden vergleichenden Studie des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt zwischen Verhaltenstherapie und psychoanalytischer Behandlung bestätigen die hervorragende Chance von tief reichenden Veränderungen durch Psychoanalysen.
Entschiedener als Psychotherapeuten anderer Provenienz gehen Psychoanalytiker in ihrer Arbeit von der Einzigartigkeit jedes Menschen, jedes depressiv Erkrankten, von der Einzigartigkeit jeder analytischen Beziehung aus. Nur innerhalb einer analytischen Behandlungsbeziehung ist es möglich, die verzweifelte Verfassung eines Menschen, die bis zum Suizid führen kann, in ihrer tiefen Dimension zu verstehen und damit zu beeinflussen. Innere Arbeitsgrundlage des Analytikers ist dabei die Vorstellung, dass ein Mensch in bedeutsamen Beziehungen zu dem geworden ist, der er ist, und sich daher auch in einer neuen bedeutsamen Beziehung verändern kann. Frühkindliche Erfahrungen bilden einen Kernteil des Selbst, das sich mit der ererbten somatisch-psychischen Konstitution der Person zu einer Einheit verbindet.
Depressionen gehen entwicklungspsychologisch auf die frühe Lebenszeit zurück, in der das Kind aus der Mutter-Kind-Einheit zu einem "das bin ich selbst" findet und sich damit erstmals von den versorgenden Erwachsenen ein Stück unabhängig macht. Dies geschieht in der Phase des Spracherwerbs, in der auch die Dimension der Zeit auftaucht. Vergangenes zu erinnern und Zukünftiges antizipieren zu können, verändert das Erleben grundlegend. Dadurch wird es möglich, sich als von der Mutter getrennt zu erleben, ein eigener Mensch zu sein, aber auch, das Gefühl der Verlassenheit zu erleben und sich nach der Mutter zu sehnen. Die beschriebene innere Entwicklung, mit dem, was in ihr geglückt und nicht geglückt ist, ist die Hintergrundsfolie des späteren Umgangs mit Verlusten von bedeutsamen Anderen, der lebenslangen Aufgabe, Verluste zu verarbeiten. Was an dieser Stelle nicht gut genug gelungen ist, wird später bedeutsam für depressive Entwicklungen, in denen alle nahen Beziehungen brüchig werden, obwohl oder gerade weil sie so ersehnt sind. Sich allein und verlassen zu fühlen, rührt an frühes Erleben: Aus missglücktem Handeln wird Scham und Schuld, aus antizipiertem Nicht-Können Verzweiflung, und - am bedenklichsten - aus Hilflosigkeit Hoffnungslosigkeit. Das macht verständlich, dass es Verfassungen depressiven Rückzugs gibt, bei denen eine Behandlung in der Klinik oder zumindest eine medikamentöse Therapie zunächst unumgänglich sind. Gelingt es jedoch in einer psychoanalytischen Behandlung, Kontakt zu diesen Gefühlen zu bekommen, dann kann aus gemeinsamem Erleben und Ãœberarbeiten dieser Vorgänge Kreativität und Zuversicht erwachsen, die die Hoffnungslosigkeit des Depressiven zu überwinden vermag.
Dezember 2009
* Autorin: Isolde Isolde Böhme, Dr.med., niedergelassene Psychoanalytikerin in Köln.