Gerald Eimer: Traumatisierte Soldaten - Diese Verletzung lässt sich nicht verarzten

Aachen. An Deutlichkeit ließen die Bilder in dem ARD-Film "Willkommen zu Hause" nichts zu wünschen übrig: Abgerissene Arme, verbrannte Leichenteile, das Blut, die Angst in den Augen der Sterbenden. Bilder, die den aus Afghanistan heimgekehrten Soldaten Ben Winter quälen – und den Fernsehzuschauern ein in Deutschland noch weitgehend tabuisiertes Thema vor Augen führten: Das Phänomen der "posttraumatischen Belastungsstörung" (PTBS), also einer - in diesem Fall kriegsbedingten - schweren seelischen Verletzung. Doch trotz aller Drastik: Aus Sicht des Aachener Psychoanalytikers Thomas Auchter war selbst dieser Fernsehbeitrag noch verharmlosend.

"Der Film hat ein wichtiges Thema in die Öffentlichkeit gebracht, aber er geht nicht weit genug", sagt Auchter. Problematisch ist aus seiner Sicht insbesondere das Happy End von "Willkommen zu Hause": "Es suggeriert, dass sich die Verletzung behandeln lässt und alles wieder gut ist." Eine solche Darstellung aber sei schon "ein bisschen Kriegspropaganda", meint der Diplom-Psychologe, der auch Mitglied im Aachener Friedenspreis ist.

Auchter befasst sich seit Jahren mit dem komplexen Phänomen Trauma und hat auch in der Praxis immer wieder mit traumatisierten Menschen zu tun. Traumatisierte Soldaten waren noch nicht darunter, doch das könnte sich mit zunehmender Dauer und Zahl der Bundeswehreinsätze schnell ändern - erst recht, wenn Kampfaufträge hinzukommen.

Eine Gesellschaft, die sich für bewaffnete Einsätze entscheidet, müsse wissen, dass ihr dafür "ein sehr hoher Preis" abverlangt wird, warnt Auchter. Denn der Krieg führt nicht nur zu sichtbaren Zerstörungen, Tod und Elend, sondern fordert auch psychische Opfer - unter der Zivilbevölkerung genauso wie unter den Soldaten.

Sie leiden an Panikattacken, Depressionen oder Schlafstörungen, werden apathisch oder hysterisch, neigen zu endlosen Weinkrämpfen oder unerklärlichen Gewaltausbrüchen, nicht selten auch gegen sich selbst, bis hin zum Suizid. Es sind die Folgen einer psychischen Verletzung, die durch ein einmaliges Schockerlebnis - etwa ein Selbstmordattentat -, aber auch durch permanente Anspannung und Todesangst ausgelöst werden kann. Oft brechen sie erst Jahre nach dem traumatischen Erlebnis aus.

Ein gewisses Maß an Angst könne jeder Mensch relativ symptomfrei ertragen, sagt Auchter. Todesängste und Ohnmachtsgefühle aber, vor allem, wenn sie wie im Krieg langandauernd sind, würden die meisten Menschen überfordern. PTBS sei insofern eine völlig normale Reaktion eines normalen Menschen auf eine außergewöhnliche Situation.

Noch aber tue sich die Bundeswehr und auch das Verteidigungsministerium mit der Anerkennung posttraumatischer Belastungsstörungen schwer. Hinzu kommt, dass sich viele Soldaten nicht trauen, offen über ihre Nöte zu sprechen, weil es ihrem Männerbild widerspricht. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) geht davon aus, dass aktuell lediglich ein bis zwei Prozent seiner Soldaten eine PTBS entwickeln würden - eine Zahl, die Auchter für weit untertrieben und "geschönt" hält.

In amerikanischen Studien heißt es, dass jeder dritte Kriegsheimkehrer ein Traumaopfer sei, israelische Untersuchungen kommen gar auf doppelt so hohe Zahlen. Letzteres hält Auchter für "sehr realistisch". Er fragt: "Wie abgestumpft muss man sein, um einen Kriegseinsatz ohne eine Traumatisierung hinter sich zu bringen?"

Und weiter: "Wie fügt man sich anschließend wieder in ein ziviles und friedliches Leben ein?" Im Krieg sei schließlich geboten, was ansonsten verboten ist: töten, verletzen, zerstören. "Es gibt leider keinen Schalter dafür, einen Menschen wieder zurückzuverwandeln", sagt Auchter.

Die Veteranenforschung in den USA zeigt, dass viele Kriegsheimkehrer Probleme haben, sich wieder in den Alltag und einen normalen Arbeitsrhythmus einzufügen. Ihre Beziehungen werden instabil, es kommt zu hohen Scheidungszahlen, viele neigen zur Drogenabhängigkeit.

Die Zahl traumatisierter Bundeswehrsoldaten hat sich nach Angaben des Verteidigungsministeriums binnen zwei Jahren vervierfacht. Mitte Februar hat daher der Bundestag beschlossen, in Berlin ein Forschungs- und Kompetenzzentrum für PTBS-betroffene Soldaten einzurichten. Schon jetzt finden Patienten in den Bundeswehrkrankenhäusern Berlin, Hamburg, Koblenz, Ulm und Westerstede Hilfe. Ãœber Art und Dauer der Behandlung herrschen dabei in den jeweiligen Häusern höchst unterschiedliche Auffassungen.

Schnell geht gar nichts

Während einige Ärzte von einer "gut behandelbaren Krankheit" sprechen, zu Entspannungstechniken raten und eine durchschnittliche Therapiedauer von "vier bis acht Wochen" für ausreichend halten, veranschlagen andere "mehr als ein Jahr".

"Schnelle und preisgünstige Heilung" kann es nicht geben, ist Auchter überzeugt, der eine - zwar langwierige, aber effektive - psychoanalytische Therapie befürwortet. Das Trauma selbst lasse sich nicht aus der Welt schaffen, man könne nur lernen, damit zu leben. Oft fühlten sich Betroffene erst nach Jahren stark genug für die Konfrontation mit dem Trauma. Erst dann aber könnten die schlimmen Erlebnisse Vergangenheit werden. Auchter: "Man kann dann sagen, das gehört zu meinem Leben, aber es ist nicht mehr aktuell."

Von einer Erkrankung oder "Kriegsneurose" will Auchter bei der PTBS nicht sprechen. Damit würde ein "grundsätzliches Problem" individualisiert, kritisiert er. Denn letztlich gebe es nur eine wirklich funktionierende "Therapie". Nicht der Einzelne muss "behandelt" und wieder "einsatzfähig gemacht" werden, sagt Auchter. Sondern die Menschheit muss sich endlich davon verabschieden, Konflikte mit Gewalt und Kriegen lösen zu wollen.

 

* Artikel entnommen den "Aachener Nachrichten" vom 3. März 2009